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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Pauw
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ich für ihn keine Verantwortung mehr übernehmen konnte.« Sie schenkte mir ein zittriges Lachen. »So, jetzt hab ich’s dir erzählt.«
    Zwischen meiner Mutter und mir gab es nur selten Körperkontakt. Aber jetzt schlang sie die Arme um mich, und wir hielten uns eine Zeit lang fest. Es war ungewohnt, aber wir hielten tapfer durch.
    »Was macht ihr da?«, fragte Aron vom Sofa aus.
    Schnell lösten sich meine Mutter und ich voneinander, als hätte man uns bei etwas Verbotenem ertappt.
    »Gleich gibt es was zu essen, mein Schatz«, sagte meine Mutter. Sie ging zu ihm und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar. Es erstaunte mich immer wieder, wie leicht es ihr fiel, Aron Zuneigung zu zeigen, während sie bei mir solche Schwierigkeiten damit hatte. »Was machen die Fische?«

    »Venus ist irgendwie komisch«, sagte Aron.
    Venus war ein brasilianischer Feenbarsch: vorne fuchsiafarben und hinten knallgelb. Gemeinsam mit ihrem Mann Peanut verbrachte sie die meiste Zeit in der Grotte, dem Plastikteil, das mit Korallen und Anemonen bewachsen war. Sie war ein kleiner Fisch, den man trotz seiner knalligen Farben leicht übersehen konnte.
    Jetzt schwamm sie dicht an der Wasseroberfläche, das Maul weit aufgerissen. Genau wie King Kong neulich. Sie lebte, aber ich fragte mich, wie lange noch.
    »Diese verdammten Fische«, sagte meine Mutter. »Was sollen wir jetzt wieder tun?«
    »Antibiotika ins Wasser?«
    Meine Mutter schüttelte den Kopf und ging zur Kommode. »Ich schreib mir kurz auf, dass ich morgen in Utrecht anrufen muss, sonst vergess ich es. Wäre mein Kopf nicht am Körper festgewachsen, würde ich den auch noch vergessen. Es kostet mich in letzter Zeit viel Kraft, mich zu konzentrieren.«
    »Ray würde sie gern wiederhaben.«
    »Kannst du dir das vorstellen? Dieses Riesending in einer Zelle?« Meine Mutter legte den Stift weg, ein auffälliges, goldenes Schreibgerät.
    »Vielleicht kommt er ja bald raus.«
    »Hörst du immer noch nicht mit diesem Unsinn auf?«
    »Ja.«
    »Du weißt, dass es sinnlos ist.«
    »Die meisten Fälle, mit denen ich betraut bin, Mam, sind sinnlos.«
    Wir hörten ein Ping! aus der Küche. Der an Moussaka erinnernde Auflauf war fertig.

38
    »Ist es dir recht, wenn ich mich neben dich setze?« Janneke sah mich an. Es war nett gemeint, denn ihre Mundwinkel waren hochgezogen und sie hatte die Augen leicht zusammengekniffen.
    Alle sahen sich nach uns um. Janneke hätte mich lieber in Ruhe lassen sollen. Begriff sie denn nicht, dass ich nicht mehr mit ihr reden wollte? Ich wollte mit niemandem mehr reden, außer mit Iris Kastelein, die behauptete, meine Schwester zu sein. Und vielleicht mit Mo, dem ich vertraute, weil man nun mal jemandem vertrauen muss. Aber Mo saß neben Jamal.
    Vielleicht würde ich auch gern noch mal mit meiner Mutter reden. Ich hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Als sie mich das letzte Mal besucht hatte, saß ich noch im Gefängnis. Sie hatte gesagt: »Mach dir keine Illusionen, Ray. Du bist hier besser dran. Jetzt muss ich mir endlich keine Sorgen mehr um dich machen.«
    Weil ich Janneke nicht geantwortet hatte, schien sie anzunehmen, dass sie sich neben mich setzen dürfe. Ich bestrich mein Brot mit Leberwurst. Noch immer aß ich ausschließlich den Aufstrich, der gerade in Reichweite war, obwohl ich eigentlich nur die Schokocreme genießbar fand.
    »Du bist wütend, stimmt’s?«
    Ich nickte, den Mund voll Brot.
    »Ich weiß, dass dir das jetzt auch nichts mehr nützt. Aber ich fand es wirklich schlimm, dass ich dich in die Isolierzelle
stecken musste. Aber weil du aggressiv wurdest, blieb mir nichts anderes übrig.«
    Ich sah aus dem Fenster und hoffte, dass sie von selbst aufhören würde zu reden. Auf der Mauer saß eine Kohlmeise. Die sah man hier selten. Vögel sah man hier sowieso selten, auch nicht im Garten. Nicht einmal sie wollten sich dort aufhalten.
    Ich dachte an meinen Garten in der Koningin Wilhelminastraat, wo es stets nur so wimmelte von Spatzen, Kohlmeisen und Rotkehlchen. Anschließend dachte ich an meine Fische. Ich wollte unbedingt meine Fische wiederhaben.
    »Hörst du mir überhaupt zu?«
    Ich sah Venus, Saturn, King Kong und François vor mir, die gegen die Scheiben anschwammen. Jedes Mal, wenn ihre Köpfe gegen das Glas prallten, hörte ich einen dumpfen Schlag.
    »Ray?«
    Die Schläge wurden lauter und lauter, und die Fische sausten durch meinen Kopf. Sie wollten raus. Nach draußen.
    Ich konnte nicht anders, ich musste einfach schreien. Oder

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