Blutige Asche Roman
untersuchen.«
Meine Mutter ging ins Wohnzimmer und war auf einmal sehr damit beschäftigt, das Spielzeug aufzuräumen.
»Ich will nur wissen, was wirklich passiert ist. Das kannst du mir doch nicht übelnehmen.«
Meine Mutter sah mich genervt an und warf dann eine Handvoll Lego in den dafür bestimmten Behälter.
Ich ging neben ihr in die Hocke, um zu helfen. »Was weißt du eigentlich über diese Rosita?«
»Iris … Jetzt reicht’s. Themawechsel, bitte.«
»Hilf mir, bitte. Hast du sie einmal kennengelernt? Die Nachbarin sagte, du hättest manchmal bei Ray vorbeigeschaut.«
»Ich habe sie ein paarmal gesehen.«
»Und?«
»Was soll ich dazu sagen? Sie war ein raffiniertes Luder und wusste ganz genau, wie sie Ray für ihre Zwecke einspannen konnte.«
»Was hat sie denn getan?«
Meine Mutter stand seufzend auf. »Ich habe dir bereits mehrfach gesagt, dass ich auf dieses Gespräch keine Lust habe. Wenn du nur noch über Ray reden kannst, brauchst du gar nicht mehr herzukommen.« Sie machte das Küchenbüffet auf, um die Teller herauszuholen.
»Ich verstehe, dass es dich nervt, wenn ich nicht lockerlasse. Aber erklär mir wenigstens, warum du uns nie von Ray erzählt hast? Und warum du jetzt keinen Kontakt mehr zu ihm hast. Er ist doch immer noch dein Sohn …«
Meine Mutter drehte sich abrupt um. »Ich bin dir keine Erklärung schuldig, Iris. Du hast ja keine Ahnung, was ich mit Ray durchgemacht habe. Nicht die leiseste Ahnung.«
»Dann erklär es mir. Denn eines kannst du mir glauben: Ich werde nicht nachgeben, bis du mir meine Fragen beantwortet hast.«
Meine Mutter seufzte demonstrativ laut.
»Was hast du denn durchgemacht? Wie war Ray als Kind?«
Meine Mutter stemmte die Hände in die Hüften. »Ray war ein rasender Zug, den man beim besten Willen nicht anhalten konnte. Ich schaffte es einfach nicht, ihn in den Griff zu
bekommen. Er machte alles kaputt, kackte überallhin, auch als er bereits acht Jahre alt war. Manchmal rannte er stundenlang mit dem Kopf gegen die Wand.« Sie zählte das auf, als hätte sie es auswendig gelernt.
»Das muss schrecklich für dich gewesen sein, Mama.« Ich meinte es ernst.
Leiser geworden fuhr sie fort: »Ich wusste nie, was ihn zum Durchdrehen bringen würde. Er konnte so laut kreischen, dass es durch Mark und Bein ging. Ich kam mir vor, als würde ich mit einem wilden Tier zusammenleben. Aber er konnte auch unheimlich lieb sein. Dann spielte er stundenlang Lego und machte wunderbare Zeichnungen. Von Vögeln und Raumschiffen, alles sehr detailliert. Aber wenn ich ihm dann sagte, es würde langsam Zeit, die Stifte aufzuräumen, bekam er einen Wutanfall.«
Ich sah Aron an, der immer noch auf das Aquarium starrte, mit einem Blick, als hätte er seinen Körper verlassen. Vielleicht schwebte er irgendwo herum, weit außerhalb der Milchstraße, inmitten von Millionen Sonnen und Exoplaneten.
»Und dann die Anfälle, wenn andere Kinder dabei waren. Jeden Tag gab es Streit. Denn wenn man Ray ärgerte, begann stets ein interessantes Spektakel. Die Aggressionen, die dann bei ihm geweckt wurden! Du willst bestimmt nicht wissen, wie oft ich den Kopf senken und ›Tut mir leid‹ sagen musste. ›Du musst strenger zu ihm sein‹, hat Opa immer gesagt. ›Versohl ihn mal tüchtig, wenn er nicht hören will.‹ Und die Nachbarn sagten: ›Eine alleinerziehende Mutter. Die hat von nichts ne Ahnung.‹ Ich habe ihn so oft bestraft, ich habe ihn angeschrien, ihn angefleht, geweint, ihm vorgesungen, ihn mit Verachtung gestraft, geschlagen, heftig geschlagen sogar, viel zu fest geschlagen … Es war schrecklich.«
Das kam mir bekannt vor. Auch ich hatte oft genug das Gefühl, als Mutter zu versagen, trotz aller gut gemeinten Ratschläge.
»Als es nicht mehr ging, habe ich ihn in der Dwingelerheide untergebracht, einem Heim für schwer erziehbare Kinder. Das war …«, meine Mutter schluckte mühsam -»… nachdem er einen Hund umgebracht hatte.«
Das mit dem Hund aus dem Mund meiner Mutter zu hören, war etwas ganz anderes, als es von de Winter zu erfahren. Ich spürte die Abscheu, die Scham und die Ohnmacht meiner Mutter hinter ihren Worten. Wie würde ich mich fühlen, wenn Aron so etwas täte?
»Den Nachbarshund«, fuhr meine Mutter fort. »Das war gruselig. Allein die Tatsache, dass er fähig war zu töten. Aber noch besorgniserregender war, dass ihm gar nicht bewusst zu sein schien, dass er etwas Falsches getan hatte. Da wusste ich, dass Ray gefährlich war. Und dass
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