Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
»Sonst ist doch keiner da, oder?«
»Keine Menschenseele«, antwortete Roscoe. Er schlug Lennon auf die Schulter. »Pass auf dich auf, Langer.«
»Wer ist das?«, wollte Marie wissen, kaum dass sich die Lifttür hinter Roscoe geschlossen hatte.
»Ein Freund«, antwortete Lennon und schloss die Wohnungstür auf.
»Besonders nett sieht der nicht gerade aus«, bemerkte sie.
»Ist er auch nicht«, sagte Lennon. Er trug ihren Koffer hinein. »Er ist ein Dreckskerl. Aber ein ehrlicher Dreckskerl, und das reicht mir.«
Marie folgte ihm. »Traust du ihm?«
»Ich vertraue überhaupt niemandem«, erklärte Lennon. Auf dem Weg ins Schlafzimmer schaltete er die Lampen an. Wie versprochen, hatte Roscoe die Handschellen und Vibratoren, die Schale mit den Kondomen und die pornographischen Bilder anden Wänden verschwinden lassen. Lennon legte den Koffer auf dem Bett ab.
Marie blieb zögernd im Flur stehen.
»Du solltest erst mal ausschlafen«, riet er.
»Du auch«, antwortete sie. »Die Couch sieht gar nicht mal unbequem aus.«
Halb schlafend, halb wach, dämmerte Lennon dahin. Sein Körper sehnte sich nach nichts mehr als nach Schlaf, aber sein Kopf konnte einfach nicht abschalten. Jedes Mal, wenn seine Gedanken schon im Treibsand des Einschlummerns wegdrifteten, strampelten sie sich doch wieder frei, wild und unbezähmbar.
Als Detective Chief Inspector Gordon seine Aussage aufgenommen hatte, waren in jeweils einer Ecke des Raumes auch Hewitt und Chief Inspector Uprichard zugegen gewesen. Hewitt wirkte blass und abwesend, Gordon dagegen auf eine schroffe Art nüchtern. Lennon erklärte ihnen, dass der Mann, den er gefasst hatte, für die Morde an Kevin Mallory, Declan Quigley, Brendan Houlihan und Patsy Toner verantwortlich sei. Während er aussagte, beobachtete er die beiden, aber weder Hewitt noch Gordon zeigten die geringste Reaktion.
Danach verließen Hewitt und Uprichard den Raum, nur Gordon blieb zugegen, als Lennon anschließend gegenüber irgendeinem Sesselfurzer von der Polizei-Ombudsstelle eine weitere Aussage machte. Als Lennon sagte, er glaube, der Verhaftete stehe unter dem Schutz irgendwelcher Personen innerhalb der Polizeikräfte, reagierte Gordon mit keinem Wort, sondern starrte nur weiter vor sich hin.
Nachdem seine Aussage aufgenommen worden und der Sesselfurzer mit seinem ganzen Kram abgezogen war, legte Gordon Lennon eine Hand auf die Schulter.
»Was Sie da behaupten, ist gefährlich, mein Junge«, sagte er.
»Es ist die Wahrheit«, erwiderte Lennon.
»Die Wahrheit kann einem leicht aus den Fingern gleiten«, sagte Gordon. »Sie sollten gut auf sich aufpassen. Mehr sage ich Ihnen nicht.«
Als er dann um zwei Uhr nachts endlich am Empfang des Präsidiums auftauchte, warteten Ellen und Marie immer noch auf ihn. Maries Aussage hatte irgendein Sergeant aufgenommen. Sie hatte nicht viel zu erzählen gehabt, weder im Präsidium noch anschließend auf der Fahrt zu Roscoes Wohnung in Carrickfergus. Sie war ja nicht dabei gewesen.
Das Morgenlicht fand einen Spalt durch die Wohnzimmervorhänge. Draußen vor dem Fenster kreischten über dem Yachthafen Seemöwen. Und endlich wurden Lennons Gedanken von der Müdigkeit überschwemmt. Er döste ein.
Im Traum begegnete Lennon all den Frauen, die er gekannt hatte. Frauen, die er belogen und im Stich gelassen hatte. Er lief von einer zur anderen und versuchte, mit ihnen zu reden, doch alle wandten sich ab. Sie wollten ihn nicht anhören. Mittendrin stand seine Mutter und hielt ein zerrissenes Hemd umkrampft. Als er näher herantrat, entdeckte er das Blut. Es war Liams Hemd. Das Hemd, in dem sein Bruder gestorben war.
Seine Mutter sagte etwas, doch im anschwellenden Gezeter der anderen Frauen gingen ihre Worte unter.
Was? , versuchte er zu fragen, aber seine Lippen und seine Zunge waren bleischwer und brachten das Wort nicht heraus. Er versuchte es noch einmal und schaffte es zu krächzen: »Was?«
Sie öffnete den Mund, aber diesmal wurden ihre Worte von einem neuen Geräusch verschluckt, einem hellen Geklingel.
»Was?«, fragte er noch einmal.
Lächelnd löste sie sich in der Dunkelheit auf und rief ihm noch zu: »Geh ans Telefon.«
Lennon schreckte hoch. Sein Kopf dröhnte, und sein Herz schlug wie wild. »Mein Gott.«
Immer noch dieses Gebimmel. Suchend spähte er ins Zimmer hinein. Auf dem gläsernen Couchtisch lag Maries Tasche. Sie stand offen, und etwas leuchtete in ihr. Lennon beugte sich auf dem Sofa vor und griff in die Tasche. Das Telefon
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