Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
einen akzeptablen Abschluss hinbekommen. Wenn alles anders gekommen wäre, hätte er auch noch seinen Magister oder vielleicht sogar den Doktor gemacht. Doch letztlich hatte er dann nicht einmal an seiner eigenen Graduiertenfeier teilgenommen. Dabei hatte sich seine Mutter dafür extra noch ein neues Kleid gekauft und hatte sich dafür sogar von ihrem Heimatort nahe der Grenze bis zu Marks & Spencer’s in Belfast aufgemacht. Um es bezahlen zu können, hatte sie sich bei der Genossenschaftsbank Geld geliehen.
Lennon erinnerte sich noch daran, wie sie im Wohnzimmerihres alten Hauses auf und ab stolziert war und immer wieder gefragt hatte, ob es gut saß, ob der Saum nicht heraushing und ob es sie schlanker machte. Lennon und sein älterer Bruder Liam hatten sich erschöpfte Blicke zugeworfen, während sie ihr immer wieder erklärten, wie wunderbar das Kleid ihr stand.
»Aber das ganze Geld«, jammerte sie und nagte besorgt an ihrer Lippe. »Ich würde das viele Geld nicht ausgeben, wenn irgendwas nicht stimmt.« Dann drohte sie ihnen nacheinander mit dem Finger. »Sagt mir bloß nicht, es sieht gut aus, wenn es nicht stimmt.«
»Du siehst bezaubernd darin aus, Ma«, sagte Liam und stand auf. Der Stoff seines Hemdes spannte über seinen breiten Schultern. Von einem Hurlingspiel, bei dem er aus Versehen den Schläger eines Mitspielers abbekommen hatte, trug er immer noch ein blaues Auge zur Schau. So jedenfalls hatte er es seiner Mutter weisgemacht. »Hör doch auf, dir deswegen Sorgen zu machen. Es ist doch nur Geld.«
»Nur Geld?«, rief sie und kniff die Augen zusammen. »Jetzt hör dir den mal an. Warte nur, bis du erst selbst Kinder hast, und sag mir dann noch mal, es ist doch nur Geld. Schließlich hat es mich jeden Penny gekostet, den ich hatte, einen von euch auf die Uni zu schicken, sogar mehr, als ich hatte. Und der hat dann alles nur für Bier, Apfelwein und Weiber verjubelt.«
Lennon tat beleidigt. »Das war nur die Miete. Dafür hat das Stipendium doch kaum ausgereicht.«
»Verarsch mich nicht«, schimpfte sie, einer der wenigen Flüche, die ihr über die Lippen kamen.
Eine gute Woche später, einen Tag, bevor sie es zu ihrer Abschlussfeier tragen sollte, brachte sie das Kleid zurück zu Marks & Spencer’s. Sie tauschte es gegen ein schwarzes um und begrub dann, was von Liam übrig geblieben war.
Lennon erinnerte sich noch daran, wie er den Sarg getragenhatte. Er hatte kaum etwas gewogen. Das war jetzt sechzehn Jahre her, und immer noch suchte ihn die Stille der Trauernden heim, wenn er am wenigsten damit rechnete.
Er schob die Erinnerung beiseite und blickte sich in der Bar um. Es war noch früh, da konnte sich noch viel ergeben. Er hatte eine Stunde in dem kleinen Sportstudio des Präsidiums zugebracht, war zum Duschen nach Hause gefahren, hatte sich in der Mikrowelle ein Fertiggericht heiß gemacht und war losgezogen. Er hatte allen Grund zum Feiern. Für den nächsten Morgen war ein Treffen mit Staatsanwalt Gordon verabredet, und er hatte gute Chancen, vor Ablauf der Woche wieder zur Mordkommission zu gehören. Er ignorierte das flaue Gefühl im Magen bei dem Gedanken, dass Rankin mit Körperverletzung davonkam. Aber damit konnte er leben, konnte sein Gewissen ersäufen, wenn er dadurch nur wieder in die Mordkommission kam.
Heute tauchten im Vavery’s keine Touristen auf, sondern nur Leute, die versuchten, mit einem Glas Alkohol unter der Woche ihre Studentenzeit wiederaufleben zu lassen. Lennon machte das Barmädchen auf sich aufmerksam, ein dürres, verhuschtes Ding mit schwarz gefärbten Haaren.
»Ein Stella«, bestellte er und legte fünf Pfund auf die Bar.
In einer Ecke stimmte ein Duo seine Gitarren. Eine Frau sagte »Eins, zwei« ins Mikrofon. Sie war großgewachsen, fast so groß wie Lennon selbst, und hatte eine blonde Wuschelmähne. Draußen an der Tafel war sie als »Nina Armstrong« angekündigt. Er nahm sie und ihre um sie gescharten Anhänger in Augenschein. Zu viele Männer wetteiferten um ihre Gunst, das war die Mühe nicht wert. Schade. Auf ihre Hippie-Art sah die Blonde ziemlich gut aus.
Die beiden fingen an zu spielen. Die Frau konnte tatsächlich singen, mit klarer, weicher Stimme, und der Gitarrist war nicht schlecht. Weitere Gäste strömten herein, paarweise oderin größeren Grüppchen. Das Stella brannte auf seiner Zunge. Lennon beobachtete die Frauen, um ihre Schwächen zu ergründen.
Ein trockener Raucherhusten weckte Lennon. Unbarmherzige Sonnenstrahlen
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