Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
gesagt.«
Quinn blieb stehen und drehte sich um. »Mir auch«, sagte er. »Deshalb muss es noch lange nicht stimmen.«
Lennon schnürte es fast die Kehle zu, seine Augen brannten. »Er war aber keiner. Er hat mir erzählt, jemand hätte versucht, die Schuld von sich selbst abzulenken und ihm in die Schuhe zu schieben.«
Quinn trat ganz dicht an Lennon heran, eine Brise trug die saure Whiskeyfahne des Stadtrats herüber. »Pass auf, was du sagst, Kleiner. Deine Familie hat schon genug Kummer gehabt. Mach ihr nicht noch mehr.«
Lennon kämpfte gegen die Tränen an, die ihm in die Augen schossen. Auf keinen Fall würde er vor diesem Schwein auch noch anfangen zu heulen. Auf keinen Fall. »Ihr habt den Falschen erwischt«, sagte er. »Vergesst das bloß nicht.«
Er wandte sich um und lief wieder ins Haus, wo seine Mutter und seine drei Schwestern zusammenhockten. Immer noch kämpfte er mit den Tränen, die in seinen Augen brannten und sich hinauszustehlen versuchten. Er schluckte sie hinunter. Seitdem hatte er nie wieder eine Träne vergossen.
Am Tag nach Liams Beerdigung kamen zwei Streifenpolizisten vorbei. Bronagh ließ sie zehn Minuten vor der Tür stehen, erst dann schritt ihre Mutter ein und bat sie hinein. Lennon beobachtete die Cops von der Wohnzimmertür aus. Sie leierten ihre belanglosen Fragen herunter und gaben nur oberflächliche Antworten. Sie wussten, dass sie ihre Zeit vergeudeten, Lennon sah es ihnen am Gesicht und ihrer ganzen Körperhaltung an. Dieser Besuch war lediglich eine Formalität, ein Punkt, den man abhakte, damit man diesen Fall so wie Hunderte anderer, die wegen mangelnder Kooperation aus der Bevölkerung nie gelöst werden würden, zu den Akten legen konnte.
Lennon hielt die beiden auf.
»Phelim Quinn«, sagte er.
»Was ist mit dem?«, fragte der Sergeant.
»Der hat es getan. Oder zumindest weiß er, wer es getan hat.«
Der Sergeant lachte. »Ich weiß, wer es getan hat«, sagte er. »Constable McCoy hier weiß auch, wer es getan hat. Und jeder andere in dieser Straße weiß auch, wer es getan hat. In der Sekunde, wo einer von denen eine Aussage macht, haben wir einen Fall. Bis dahin könnten wir ebenso gut den Nikolaus verfolgen.«
Er legte Lennon die Hand auf die Schulter. »Hör mal zu, mein Junge, ich würde nichts lieber tun, als die Schweine, die deinen Bruder umgebracht haben, hinter Gitter zu bringen. Ganzehrlich. Aber du weißt genauso gut wie wir, dass es nie dazu kommen wird. Du lieber Himmel, wenn es auch nur den Hauch einer Chance gäbe, sie festzunehmen, dann würde hier eine ganze Armee unserer Leute vorbeikommen, und zwar richtige Kriminalbeamte. Wir machen nur Notizen, füllen die Vordrucke aus, und das ist auch schon alles, was wir tun können. Und für dich ist es das Beste, wenn du dich von jedem Ärger fernhältst und dich um deine Ma kümmerst.«
Der Sergeant und der Constable ließen Lennon im Flur stehen und zogen die Haustür hinter sich zu.
In den Wochen danach war das ganze Haus wie eingefroren. Alle waren in ihrem Schmerz, ihrer Wut und ihrer Angst gefangen und fanden doch keine Möglichkeit, es herauszulassen. Eines Abends lag Lennon wach im Bett, jetzt allein in dem Zimmer, das er sich früher mit seinem Bruder geteilt hatte, und dachte über die Konsequenzen seiner Entscheidung nach. Er hatte den Antrag ausgefüllt und darin die Adresse seiner Studentenbude in Belfast angegeben. Als der Anruf wegen der ersten Eignungsprüfung kam, war er schon wieder an der Queen’s und begann sein Magisterstudium in Psychologie. Die Erleichterung, aus seinem zerbrochenen Zuhause wegzukommen, wurde getrübt von der Angst vor dem, auf das er sich da eingelassen hatte. Es folgten sechs Monate an Vorstellungsgesprächen und Fitnesstests, derweil arbeitete er halbtags als Pförtner in der Psychiatrie des städtischen Krankenhauses. Die ganze Zeit über hielt er es geheim, selbst vor seinen Freunden an der Queen’s.
Lennon verbrachte nun weniger Wochenenden zu Hause. Und wenn einmal, dann fuhr er in dem gebrauchten Seat Ibiza, den er von seinem toten Bruder geerbt hatte, aus der Stadt in sein Dorf. Das leere Bett in seinem Zimmer kam ihm vor wie ein Totenschrein für Liam, und dass es dort stand, raubte ihm den Schlaf. Einmal fragte er seine Mutter, ob er es herausschaffen könne.Sie gab ihm eine schallende Ohrfeige, danach fragte er nicht mehr. Immer mehr begann nun Bronagh, den Haushalt zu übernehmen, für die Mahlzeiten zu sorgen und ihre jüngeren Schwestern
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