Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
auf den Klingelknopf für die Parterrewohnung. Er klingelte noch einmal und drückte sich ganz dicht an die Tür, für den Fall, dass der Bewohner von oben aus dem Fenster schaute. Von drinnen hörte er Schritte auf der Treppe.
Eine Frau um die Vierzig machte auf, das Gesicht wutverzerrt. »Was woll…«
Der Nomade zertrümmerte ihr mit dem Pistolenknauf die Nase. Sie fiel nach hinten, und ihr Kopf schlug auf die polierten Bodendielen auf. Die Frau stöhnte leise, hustete und spuckte Blut, dann lag sie regungslos da. Ihre Brust hob und senkte sich. Der Nomade überlegte kurz, ob er sie erledigen sollte, aber dafür blieb keine Zeit. Er stieg über sie hinweg und eilte auf die Treppe zu. Er nahm zwei Stufen auf einmal, bis er die oberste Etage erreicht hatte.
Toners Wohnungstür würde beim ersten Tritt nachgeben, da war der Nomade sich sicher. Er blieb einen Moment stehen, holte tief Luft und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Im rechten sah er nur verschwommen und zwinkerte, bis es klarer wurde. Er umfasste die Eagle in beidhändiger Angriffshaltung und trat unterhalb des Schlosses die Tür ein. Sie krachte innen gegen die Wand. Vor ihm im Dämmerlicht stand ein zerschlissenes Sofa. Der Couchtisch war übersät mit Tellern, Flaschen und alten Imbisskartons. Der Nomade spähte ins Zimmer. Ein Luftzug fächelte über sein feuchtes Gesicht.
»Gottverdammtes Arschloch«, fluchte er.
In der Ecke neben der Kochnische stand eine Tür offen. Sieführte hinaus auf eine Eisentreppe, die zwei Stockwerke hinab in den Hof führte. Eine verdammte Feuerleiter.
Das Auge des Nomaden zuckte und schlierte und brannte. Etwas Warmes lief ihm über die Wange. Die Schulter tat ihm weh.
»Scheißkerl, verdammter Hurensohn«, fluchte er.
30
Fegan saß in einem düsteren, billigen Motelzimmer nicht weit vom Newark Airport und atmete einmal tief durch. Hatte eben tatsächlich das Telefon geklingelt? Er nahm es und drückte auf eine Taste.
Kein Anruf. Er legte das Telefon zurück auf das Nachtschränkchen und streckte sich wieder auf dem Laken aus. Das Kopfkissen war feucht vor Schweiß. Er hatte von Feuer geträumt, von einem Mädchen, das von schwarzem Rauch eingehüllt wurde, und dann hatten sich ihre Schreie in das Klingeln eines Telefons verwandelt. Ihr Name war Ellen McKenna, und sie war jetzt fast sechs. Erst vor ein paar Monaten hatte Fegan sie an den Leichen der Männer vorbeigetragen, die er getötet hatte. Sie hatte die Augen zugekniffen und ihr nasses Gesicht an seinen Hals gedrückt, genau wie er es ihr gesagt hatte. Ihre Haut hatte sich auf seiner heiß angefühlt.
Als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, hatte sie ihm im Hafen von Dundalk vom Rücksitz des Wagens ihrer Mutter zugewinkt. Es erschien ihm wie vor einer Ewigkeit. Er hatte Marie McKenna gesagt, wenn sie in Gefahr sei, solle sie auf dem billigen Mobiltelefon anrufen, das er mitnehmen würde. Seitdem hatte er es stets bei sich getragen. Er rieb sich mit dem rechten Handballen über die linke Schulter. Die Narbe juckte unter der rosa glänzenden Haut wie winzige Spinnen.
Fegan dachte über seinen Traum nach. Konnten Träume in diewachen Stunden eindringen? Inzwischen wusste er, wie schmal die Grenze zwischen der realen Welt und der anderen war. Deshalb machten diese Träume von Feuer und einem brennenden Mädchen ihm eine solche Angst, dass sich ihm schier der Magen umdrehte und die Beine versagten.
Ellens Mutter kam in diesen Träumen nie vor. Manchmal konnte er sich nur noch mit Mühe daran erinnern, wie Marie McKenna überhaupt aussah. Er sah sie noch vor sich, wie sie dort am Dock gestanden und von ihm verlangt hatte, sich von ihr fernzuhalten. Ihr Gesicht jedoch hatte sich in etwas Unwirkliches aufgelöst, als sei sie ein Mensch, der nur in seiner Einbildung und nicht in Wirklichkeit existierte. Sobald sein Telefon klingelte, und er wusste, dass es irgendwann klingeln würde, dann war sie wieder real. Vor diesem Moment graute ihm.
Aber falls – wenn – sie anrief, dann konnte er immerhin zu ihr. Er hatte geschworen, für ihre und für Ellens Sicherheit zu sorgen. Er hatte in seinem Leben so viel Blut vergossen, doch seine größte Sünde war gewesen, dass er Marie und Ellen in die Gewalt mit hineingezogen hatte, die er offenbar anzog wie ein Magnet. Er hatte den Tod vor ihre Tür gebracht. Aber er würde alles tun, um zu verhindern, dass der Tod über die Schwelle trat.
Das ganze Zimmer erbebte, als ein Flugzeug darüber hinwegdonnerte.
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