Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
klarkam.
Entschluss gefasst. Dem Cop das Genick brechen, Sofia ein Kind machen. Alles ganz einfach. Aber kompliziert hatte der Nomadedas Leben sowieso noch nie gefunden. Er konnte sich daran erinnern, wie seine Mutter ihn eines Tages in seiner Teenagerzeit umarmt, auf den Kopf geküsst und gesagt hatte: »Ach, mein Junge, du wirst immer wieder auf den Füßen landen. Stolper einfach weiter. Der Teufel kümmert sich schon um die Seinen.«
Und sie hatte recht behalten. Selbst heute wusste er nicht genau, warum er eigentlich irgendwann auf die Idee verfallen war, das Haus seiner Mutter zu verlassen, ein Schiff zu nehmen und die Irische See zu überqueren. Einen Monat lang war er durch Liverpool gestreunt und hatte auf einer Baustelle nach Arbeit gesucht, so wie Generationen von Iren vor ihm. Mühsam hatte er sich durchgeschlagen, bis er sich dann eines Tages vor einem Rekrutierungsbüro der Armee wiedergefunden hatte.
Er stand auf dem Bürgersteig, betrachtete das Schild über ihm und die Plakate in den Fenstern. Den Text wusste er nicht mehr, aber an die Bilder erinnerte er sich noch gut. Junge Männer in Uniform hantierten an irgendwelchen exotischen Orten mit Gewehren, kletterten irgendwo hoch, reparierten etwas oder fuhren etwas. Der Rekrutierungsoffizier schüttelte ihm die Hand und redete mit ihm wie mit einem Mann.
Ein paar Monate später, er war immer noch achtzehn, fand er sich an irgendeinem hundserbärmlichen Ort in irgendeinem von diesen auseinandergefallenen kommunistischen Ländern wieder und versuchte, die Habseligkeiten alter Frauen und kleiner Kinder zu schützen, die über verschlammte Wege vor den Massakern in ihren Städten und Dörfern flohen. Im Vergleich dazu kam einem die ganze Scheiße in Nordirland vor wie Kinderkram.
Seitdem hatte er für den Norden und seinem ganzen Gezänk nicht mehr viel übrig. Nichts als eine Bande egoistischer, kindischer, verzogener Jammerlappen, die sich in die Hose machten und sofort mit Ziegelsteinen warfen, sobald sie nicht ihren Willen kriegten. Jedes Mal, wenn er einen Politiker im Fernsehen lamentierenhörte, die andere Seite sei bevorzugt worden, wünschte sich der Nomade, er könnte den Typen an den Haaren in so ein Dorf zerren, dessen Namen er nicht einmal aussprechen konnte, und ihm die Säuglinge zeigen, die Granatsplitter in Stücke gerissen hatten. Oder eine junge Mutter, die man vergewaltigt und abgeschlachtet hatte, nur weil sie zur falschen Seite gehörte, und deren Kinder bis an ihr Lebensende beim bloßen Gedanken daran Schreikrämpfe bekommen würden.
Er würde den Politiker bei der Kehle packen und diesen verdammten Lügner zwingen, genau hinzuschauen, alles sehen zu müssen, und dann würde er ihm sagen: »So sieht ein echter Konflikt aus. Ein echter Krieg. Echter Hass. Echte Angst. Echtes Blut und echte Grausamkeit. Das ist Töten um des Tötens willen. Schau es dir an.«
Der Nomade betrachtete sich im Rückspiegel. »Schluss«, befahl er sich. »Hör auf damit. Spar dir deine Wut für Patsy Toner auf.«
Die Wut. Noch so ein Symptom, wenn einem ein Stück Gehirn abhandengekommen war: diese unvermittelten Zornesausbrüche. Der Nomade atmete einmal tief durch und zwang die Wut zurück in seinen Bauch, wo sie hingehörte. Er musste sie im Zaum halten, sie kanalisieren und sich zunutze machen, nicht sich von ihr bestimmen lassen. Vor Jahren hatte es noch Momente gegeben, wo er sich dieser Wut vollständig ausgeliefert hatte. Er sah alles nur noch wie durch einen roten Trichter, und ehe er sich versah, hatte er irgendeinem armen Teufel das Hirn auf den Bürgersteig gespritzt oder die Kehle mit einer Glasscherbe aufgeschlitzt. Damit war es jetzt vorbei. Er hatte gelernt, sich im Zaum zu halten und die Wut in seinen Eingeweiden zu verstauen wie eine innere Batterie. Wenn er sie brauchte, konnte er sie zuschalten, nur für einen Moment, nur lange genug, um die schrecklichen Dinge zu tun, die so gut bezahlt wurden.
Nach einer Weile fühlte es sich vollkommen normal an, so als sei das Töten nichts anderes als Luftholen. Irgendwo in seinem Inneren, an einer unerreichbaren Stelle, wusste der Nomade, dass er krank war. Deshalb mochte er auch keine Ärzte. Er befürchtete, sie würden den dunklen Fleck auf seinem Herzen sehen können, das schwarze Loch, in dem er sein Gewissen gefangen hielt, geknebelt, ruhig gestellt, betäubt und gefesselt von den verworrenen Bildern von aufgetürmten Kinderleibern, Fliegen, die sich über das Fleisch hermachten,
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