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Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Blutige Fehde: Thriller (German Edition)

Titel: Blutige Fehde: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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dem Blut, das unter seinen Stiefeln klebte, und dem Gestank, der einen traf wie ein Schlag in …
    »Hör endlich auf«, befahl er seinem Spiegelbild. Er rieb sich mit der Hand fest über das Auge.
    Der grelle, lodernde Schmerz sprengte jeden Gedanken. Er biss die Zähne zusammen und unterdrückte einen Aufschrei. Etwas Warmes, klebrig Feuchtes rollte ihm über die Wange. Er wischte es mit dem Ärmel ab und untersuchte die feinen gelben Schlieren.
    »Scheiße«, fluchte er.
    Gerade noch rechtzeitig bekam er sich wieder in den Griff, da  hörte er auch schon das dumpfe Poltern und Rattern eines anspringenden Dieselmotors. War das der Cop? Der Nomade lauschte auf das bullernde Geräusch und behielt die Ausfahrt hinter dem Lieferwagen im Auge. Er blinzelte, um mit dem rechten Auge klarer zu sehen.
    Da war er – der Audi. Durch die getönte Scheibe konnte man gerade noch den Kopf des Cops erkennen. Er fädelte sich in den Verkehr ein und verschwand.
    Der Nomade atmete durch die Nase die kühle Luft ein und durch den Mund wieder aus. Seine Wut stand kurz vor dem Ausbruch, wie ein Pickel unter der Haut, der jeden Moment aufplatzen konnte. Schlecht für Patsy Toner.

35
    Lennon zitterte am Steuer wie Espenlaub. Kaum war er auf die Umgehungsstraße von Sydenham gefahren, bereute er es auch schon. Er atmete schwer, in seiner Brust hämmerte es, seine Hände glitten auf dem lederbezogenen Lenkrad des Audis aus. Er musste ranfahren und erst einmal einen klaren Kopf bekommen.
    Alle möglichen Bilder und Gefühle schossen ihm durch den Kopf, aber er konnte sie nicht festhalten. Als zur Rechten die alte Shirocco-Fabrikanlage vorbeizog, inzwischen eine riesige Brache, bog er links ab. Überall prangten republikanische Mauerbilder von gefallenen Märtyrern, sieben Meter hoch, damit die Einheimischen und alle, die sonst vorbeikamen, auch wussten, wem diese Straßen hier gehörten. Lennon kam an der Friedensmauer vorbei, deren Name der denkbar unpassendste war, eine Barriere aus Backstein und Stacheldraht, die das Viertel mitten entzweischnitt. Er folgte ihr, soweit es ging, bis Sackgassen und Kreuzungen ihn auf eine ruhige Straße zwangen, auf der kein Mensch unterwegs war. Er fuhr an den Straßenrand, die Reifen des Audis rollten knirschend über Müll und Glasscherben.
    Während der Motor erstarb, schaute er sich um. Zu seiner Rechten, in Richtung Westen, ragte die Friedensmauer auf und ließ die Häuser aussehen wie Baracken in einem Gefangenenlager. Verschiedene Farbschichten in Rot, Weiß und Blau waren teilweise von den Pflastersteinen abgeblättert oder verblichen. Voneinem Fahnenmast wehten die zerlumpten Überreste eines Union Jack. An den Fenstern und Türen der roten Backsteingebäude waren die Rollläden heruntergelassen, als seien ihre Augen und Münder mit Eisen verriegelt, blind und stumm gemacht durch … ja, durch was eigentlich?
    Lennon schaute die Straße hinauf und hinab, und er begriff. Dies hier war nur wieder eine weitere von den vielen aufgegebenen Straßen, verlassen von ihren geflohenen Bewohnern, die die Straßenschlachten, die herabregnenden Ziegelsteine und Flaschen und die Brandbomben, die Feuer auf ihren Dächern gelegt hatten, einfach nicht mehr ausgehalten hatten. Eine nach der anderen waren zu beiden Seiten der Friedensmauer die Familien ausgezogen und hatten die Matratzen und die wertvollen Tische und die Spiegel, Erbstücke von der Großmutter, hastig auf geborgte Lastwagen oder Anhänger geladen.
    Ob hier überhaupt noch jemand wohnte? Lennon suchte nach Anzeichen von Leben. Keine Menschenseele. Etwas mehr als einen Kilometer entfernt wurden Millionen in heruntergekommene Viertel gepumpt, wurden Wohnungen, Einkaufszentren und Technologieparks hochgezogen. Direkt auf der anderen Seite des Flusses wechselte Wohneigentum für ein Geld den Besitzer, das man sich vor ein paar Jahren niemals hätte vorstellen können. Kleine Apartments mit nur einem Schlafzimmer kosteten inzwischen eine viertel Million und wurden dann auch noch von Investoren weggeschnappt, die darauf aus waren, den Boom des Belfaster Friedens nach Kräften auszunutzen und unbedingt reich zu werden, bevor die Blase unweigerlich platzte. Und hier, keine zehn Minuten weit weg, standen zwei Reihen leerer Häuser, in denen zusammen mit dem Mörtel und dem Holz Generationen von Erinnerungen vergammelten. Und das alles nur, weil ein paar bornierte Schurken die Welt unbedingt in wir und die anderen einteilen mussten.
    Lennon wurde speiübel.

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