Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
problemlos dein Spatzenhirn über die Mauer da drüben verteilen könnte, und kein Schwein würde je davon erfahren. Kein Mensch ist noch da, der es sehen oder hören könnte. Und glaubst du wirklich, deine Kumpels würden ihren Hals riskieren und zur Polizei rennen?«
Darren zog einen Rotzfaden hoch. »Nein«, sagte er. Sein Körper kippte nach vorne, und Lennon schob ihn zurück.
»Verschwinde, aber schnell.«
Darren taumelte zurück, bis er an der Mauer war. Japsend und mit weit aufgerissenen Augen starrte er Lennon an.
»Also los, verpiss dich schon«, rief Lennon und steckte die Glock ein.
Darren machte sich davon, erst noch zögerlich, bald aber schon immer schneller. Als er ein paar Meter weit weg war, duckte er den Kopf und rannte so schnell, wie sein massiger Körper es ihm erlaubte. Weit kam er nicht, dann stolperte er schon und schlug mit dem Gesicht voraus auf den Bürgersteig. Lennon verzog das Gesicht, als er sah, wie der Junge sich übergab. Dann rappelte Darren sich wieder hoch und taumelte weiter.
»Du Arschloch«, murmelte Lennon, als der Junge schließlich um die Ecke bog. »Du bescheuertes, dämliches Arschloch.«
Er wusste selbst nicht genau, ob er damit Darren meinte oder sich selbst.
36
Der Nomade drehte die Hähne zu, kurz bevor das Wasser überzulaufen drohte. Die letzten Tropfen klatschten ins Wasser. Der Nomade tauchte seine Hand hinein. Kalt. Er richtete sich neben der Badewanne auf und schaltete das Licht aus. Hinter der Tür war genügend Platz, um sich zu verstecken.
Wie lange er wohl reglos dastehen konnte? Bislang war das Längste vier Stunden gewesen, im Büro eines Buchhalters. Dabei hatte er den armen Teufel nicht einmal anrühren müssen, denn kaum hatte der Buchhalter gesehen, wie er aus dem Schatten auf ihn zusprang, war er mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen. Das war also einfach gewesen, aber die Warterei davor die reinste Hölle.
Ob er wohl noch länger als vier Stunden unbeweglich dastehen und warten konnte. Vermutlich schon. Ihm wurde selten langweilig. Er war zwar kein großer Denker, trotzdem konnte er sich eine sehr lange Zeit vergnüglich mit seinen eigenen Gedanken beschäftigen. Er konnte zum Beispiel an die ganzen Leute denken, die ihm im Leben schon begegnet waren. Einige davon hatte er gevögelt, andere umgebracht. Oder er konnte an Sofia und das Baby denken, das er ihr machen wollte.
Stattdessen dachte er über Gerry Fegan nach. Bull hatte ihm ein Foto gezeigt. Fegan war wie er selbst schlank und drahtig und hatte ein kantiges Gesicht. Der Nomade fragte sich, wie viele LeuteFegan wohl umgebracht hatte. Da waren auf jeden Fall die zwölf, für die man ihn eingelocht hatte, und dann noch vor ein paar Monaten dieser Amoklauf. Wie viele waren das gewesen? Vier in der Stadt und dann noch zwei auf dieser Farm bei Middletown, ein britischer Agent und der Politiker Paul McGinty. Das machte achtzehn, wenn er keinen vergessen hatte. Er selbst hatte mehr als doppelt so viele auf dem Kerbholz.
Hatte er Angst vor Fegan? Wahrscheinlich, aber das war gar nicht mal verkehrt. Orla hatte zwar damit geprahlt, ihr Vater habe vor überhaupt niemandem Angst, außer vor dem großen Gerry Fegan, aber der Nomade wusste, dass das nichts anderes war als Prahlerei. Nur Leute, die unbedingt sterben wollten, hatten vor gar nichts Angst. Was zählte, war einzig und allein, wie man mit seiner Angst umging. Der Nomade münzte seine Angst in Wut und Hass um, Gefühle, die ihm halfen, seinen Job zu erledigen. Und der Job war wichtiger als alles andere.
Der Nomade schloss die Augen, atmete leise und wartete.
Eine Stunde, vielleicht sogar noch ein wenig mehr verging, bis er das Piepsen der Schlüsselkarte im Schlitz hörte, gefolgt von dem typischen Klacken, als das Schloss aufging. Er lauschte und stellte sich dabei vor, wie Patsy Toner gerade eintrat und hinter sich die Tür schloss.
Schwer atmend durchquerte der kleine Anwalt das Zimmer, er schlurfte über den billigen Teppichboden. Der Nomade hörte Stoff rascheln, als Toner ein Kleidungsstück ablegte, vermutlich sein Jackett. Dann ein Poltern, als er sich die Schuhe von den Füßen trat. Die Matratze ächzte. Ein Feuerzeug blitzte auf, jemand atmete tief ein und wieder aus. Ein paar Augenblicke später roch der Nomade den bitteren Gestank einer Zigarette. Dann kam ein tränenloses, jämmerliches Aufschluchzen, der Klagelaut von Verwundeten und Sterbenden. Der Nomade kannte ihn nur zu gut.Jetzt ein tiefes, feuchtes Schniefen
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