Blutige Rache: Wegners schwerste Fälle (German Edition)
zusammen. Langsam wurde ihm immer klarer, auf welchem schmalen Grat sich seine Hilfesuchenden befanden und worauf er sich einließ, wenn er ihnen seine Hilfe anbot.
»Wenn ich dir nicht helfe, dann würdest du dich ...?«
»... umbringen! Natürlich – entweder die, oder ich. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht mehr.« Mit feuchten Augen zog sich Sally jetzt ihre Mütze vom Kopf. Was sie damit freigab, waren nur noch einige wirre Büschel, die man nicht einmal ansatzweise als Frisur bezeichnen konnte. »Gestern Mittag haben sie mich in den Kunstraum gezogen ... besser gesagt in den Materialraum.« Jetzt flossen ihre Tränen ungezügelt. »Eine hat `ne Schere genommen und das hier angerichtet.« Sie deutete auf den kümmerlichen Rest ihrer Haare. »Ich hab sie vier Jahre lang wachsen lassen. Wenn es überhaupt etwas gab, worauf ich stolz war, dann waren es ...«, ihre Stimme versagte.
Falke erinnerte sich an Sallys Profilbild, das ihm schon beim Freischalten aufgefallen war. »Deine Haare waren schön«, er legte ihr einen Arm um die Schulter, »... die wachsen auch wieder – ganz sicher.«
»Heißt das, dass du mir hilfst?«
»Natürlich!«
***
Endlich kam Tobias wie ein Gockel aus dem Frisörsalon stolziert und blieb noch einen kurzen Moment vor der Tür stehen. Vermutlich suchte er nach bewundernden Blicken, dachte sich Axel verbittert und schwang sich auf sein Fahrrad, das er um die Ecke abgestellt hatte. Jetzt musste er einfach alles auf eine Karte setzen. Wie der Wind radelte er in Richtung Schrebergärten, an deren Ende er sich hinter einem Bushäuschen verschanzte. Es dürfte bestenfalls Minuten dauern, bis er Tobias` dämlich grinsende Visage heranradeln sähe. Ob frisch frisiert, oder nicht – sein letztes Stündlein hatte geschlagen.
Einen Augenblick später konnte Axel das glänzende Rad bereits in einiger Entfernung ausmachen. Sein Opfer saß kerzengerade auf dem Sattel, als ob zu vermuten wäre, dass gleich ein Paparazzo aus dem Gebüsch spränge, um einen spontanen Schnappschuss zu ergattern.
Fast auf seiner Höhe angekommen, sprang Axel hinter der Bushaltestelle hervor und versperrte dem heranradelnden Jungen den Weg. Anstelle einer Kamera hielt er stattdessen den Teaser empor und fuchtelte ungelenk mir seiner Waffe herum.
Erstaunt und mit weit aufgerissenen Augen trat Tobias voll in die Bremse. Kurz darauf, der erste Schreck schien verdaut, begann er hemmungslos zu pöbeln: »Bist du nicht ganz dicht, du hirnamputierter Affe.« Jetzt stieg er vom Rad und ließ es achtlos in den Sand fallen. »Dir haben sie wohl ins Hirn geschissen, du dämlicher Mongo!« Zwei Schritte weiter war er bereits bei Axel angekommen und packte diesen am Kragen seiner Jacke. Reflexartig riss der Junge den Teaser noch höher und drückte dessen Knopf tief durch. Vom Stromschlag durchrüttelt taumelten beide Jungen ein ums andere Mal um die eigene Achse und landeten dann gemeinsam in einem flachen Graben, der kniehoch mit schmutzigem Wasser gefüllt war.
Endlich lösten sich Axels Finger vom Knopf des Teasers. Das Zucken war augenblicklich vorbei. Benommen schüttelte er den Kopf und versuchte sich neu zu orientieren. Wo war Tobias geblieben? War er entkommen? Erst jetzt bemerkte Axel, dass er direkt auf dessen regungslosem Körper saß, der nicht einmal mehr zuckte. Das Gesicht seines Opfers wurde vollständig unter die Wasseroberfläche gedrückt, sodass die neue Frisur wie herangeklatscht wirkte. Ein halbes Taschentuch hatte sich in den nassen Haaren verfangen. Luftblasen drangen immer zaghafter an die Oberfläche. Nur eine weitere Minute verging, dann hörte das Blubbern komplett auf.
Nachdenklich betrachtete Axel minutenlang das Ergebnis seiner Tat. Nichts war so gelaufen, wie er es geplant hatte, aber das Endergebnis war zufriedenstellend. Er wollte gerade aufstehen, als er zwei helle Stimmen hörte, die schnell näher kamen. Vermutlich Hausfrauen, die vom Einkaufen kamen oder morgens, im Schrebergarten, nach dem Rechten geschaut hatten. Geistesgegenwärtig schleuderte Axel den Teaser in ein Gebüsch, das die Bushaltestelle zur Straße hin abgrenzte. Den Totschläger, der schwer in seiner Innentasche drückte, würde er später anderenorts entsorgen.
»Hilfe! ... Hilfe ... wir brauchen Hilfe!«, rief er jetzt und sprang klitschnass aus dem Graben heraus, um wie ein Häufchen Elend auf dem Sandweg davor zu landen. Die beiden Radfahrerinnen stoppten abrupt und stiegen besorgt von ihren Rädern herab.
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