Blutige Rache
den grauen Bärten und rostigen Rädern machen das seit den Sechzigern.«
»Aber … egal. Und das Rat - was für ein Loch. Hab ich damals schon gesagt. Außerdem war ich ja immerzu beschäftigt …«
Kurz darauf übernahm sie wieder die Angel und verlor fast das Gleichgewicht.
»Du solltest allmählich aufhören, sonst hast du morgen einen Muskelkater hier am Rücken.« Er ließ die Fingerknöchel neben ihrer Wirbelsäule entlanggleiten.
Inzwischen hatte sie fünf Fische gefangen. »Lass mich noch einmal auswerfen.«
»Sinnlos. Beim letzten Versuch beißt nie einer an.«
Sie warf trotzdem aus und fing tatsächlich nichts. »Na schön, ich beuge mich deinem besseren Wissen, obwohl das statistisch gesehen keinen Sinn ergibt.«
»Doch - wenn du was erwischst, wirfst du auf jeden Fall noch mal aus, weil du meinst, die Glückssträhne hält an«, widersprach Virgil.
Da durchzuckte ein Blitz den Himmel. Virgil zählte die Sekunden. »Noch ungefähr zehn Kilometer weg. Wird Zeit, dass wir vom See runterkommen.«
Am Ufer zogen sie das Boot aus dem Wasser, machten die Schutzplane fest, gingen zur Hütte hinauf, wuschen sich die Hände und setzten sich mit einem Bier auf die dem See zugewandte Veranda, um das herannahende Gewitter zu beobachten.
Als die ersten dicken Tropfen vom Himmel fielen, sagte Mai: »Jetzt verkriechen wir uns wohl am besten im Bett.«
»Ja.«
Sie ließ sich auf der Bettkante von ihm entkleiden. Er kniete auf der Matratze, das Gesicht in ihren Nacken vergraben, während er die Knöpfe ihrer Bluse und Jeans öffnete.
»Mein Gott, ist das schön, wie damals mit acht, beim Aufmachen der Weihnachtsgeschenke«, sagte er.
Sie half Virgil aus der Jeans, die ein bisschen nach Fisch roch, dann schlüpften sie aus der Unterwäsche, und schon bald spielte Zeit keine Rolle mehr.
Er hatte erwartet, dass es gut werden würde, und es war tatsächlich gut gewesen.
»Wahnsinn«, kicherte sie. »Mir ist erst auf dem See draußen aufgegangen, dass das ein Anruf aus China war. Melden sich bei dir öfter Leute aus China?«
»Nein, da ging’s um den Fall. Vor ungefähr einem Jahr ist in Hongkong ein Mann gestorben, und wir wollen rausfinden, wie genau. Die Chinesen haben mir versprochen, sich damit zu beschäftigen.«
»Alle Chinesen? Das sind aber ziemlich viele.«
»Die Hongkonger Polizei.«
»Na so was … Indianer, Chinesen, Hongkong, die North Woods.«
»Ja … Ich muss dir was gestehen: Während der Fahrt hab ich mir die ganze Zeit das hier vorgestellt …« Er ließ seine Hand über ihren Oberschenkel gleiten. »Doch ich mach mir auch Gedanken über dich und deinen Vater. Du weißt nichts über diesen Fall, oder?«
Sie stützte sich auf einen Ellbogen. »Wieso sollte ich? Warum fragst du?«
»Weil dein Vater mit Ray und Sanderson geredet hat, und als ich von ihm wissen wollte, worüber, hat er mir keine richtige Antwort gegeben. Wenn der Killer glaubt, dein Vater hätte was mit der Sache zu tun, rückt er ihm auf die Pelle, so viel steht fest. Ich möchte wirklich nicht, dass dir was passiert.«
»Ach, Virgil. Meinst du wirklich? Mein Vater …«
»War er 1975 in Vietnam?«
»In meiner Kinderzeit in den Achtzigern war er ziemlich oft dort, für meinen Geschmack zu oft. Soweit ich das verstehe, hielten die Vietnamesen das amerikanische Volk für Verbündete, und mein Vater gehörte nun mal dazu. Er war während des Krieges und hinterher noch häufig dort. Ob auch 1975, weiß ich nicht.«
»Es wundert mich, dass er nie aufgeflogen ist.«
»Aufgeflogen …?«
»Dass er nie von der Bundespolizei festgenommen wurde.«
»Er war als Journalist dort«, erklärte Mai. »Das verlieh ihm einen gewissen Status.«
»Trotzdem. Falls da irgendwas ist, sollte er mit mir drüber reden.«
»Wie viele Morde wird es noch geben?«
»Keine Ahnung. Ich verrat dir jetzt was, aber das darfst du nicht weitersagen.«
»Klar.«
»Beim letzten hat wahrscheinlich jemand den Killer gesehen, einen Indianer. Ray war ebenfalls Indianer. Wir überlegen, ob Drogenhandel im Spiel war. Die Sache wird allmählich ziemlich verwirrend.«
»Weißt du, wer die nächsten Opfer sein könnten?«
»Ja. Ich hab mich neulich mit einem von ihnen unterhalten. Den Namen darf ich dir nicht sagen, aus juristischen Gründen. Er glaubt, ihm kann nichts passieren, weil er von Leibwächtern umgeben ist. Irgendwie hat er mit der Sache zu tun.«
»Das kriegst du schon noch raus. Dad hält dich für ein ausgesprochen schlaues
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