Blutige Rache
antwortete Virgil.
»Und wie kann ich sicher sein, dass Sie der sind, für den Sie sich ausgeben?«
»Rufen Sie die Website des Staatskriminalamts von Minnesota auf, wählen Sie die dort angegebene Nummer und verlangen Sie Virgil Flowers.«
»Woher soll ich wissen, dass die CIA mir keine Falle stellt?«
»Eine Falle?«
»Na schön, ich bleibe bei meiner Meinung, auch wenn Sie für die CIA arbeiten. Die CIA hat diese Zeitschriften gesponsert. Punkt. Und zwar nicht heimlich und im kleinen Rahmen. Das waren ihre Organe, die permanent diese linken Erklärungen und Artikel veröffentlichten. Im Gegenzug hatten sie Zugang zu allen linken Intellektuellenzirkeln der Zeit, sowohl in den Staaten als auch in Europa.«
In dem Moment streckte ein stämmiger Mann mit kantigem Gesicht, kurzem, lockigem Haar und einer kahlen Stelle den Kopf zur Tür herein. Er hatte kleine schwarze Augen, Narben darunter und eine mehrfach gebrochene Nase.
Virgil bat Lutz, einen Augenblick zu warten, und fragte den Mann: »Mickey?«
Der Mann entblößte seine überkronten weißen Zähne. »Ja. Virgil?«
»Setzen Sie sich, ich hab grade jemanden an der Strippe.«
»Ich muss dringend aufs Klo, Mann.«
»Den Flur runter, auf der linken Seite …«
Virgil wandte sich wieder dem Telefon zu. »Wo waren wir? Sie halten also nicht nur diese Magazine für CIA-Organe, sondern auch Sinclair und ein paar andere Leute für Agenten.«
»Ja, zu der Meinung stehe ich. Publizieren kann ich sie allerdings nicht, weil Sinclair mich dann wegen Rufschädigung verklagen würde. Und ich habe keine Belege für meine Ansicht.«
»Wie sind Sie zu dieser Meinung gelangt?«
»Er ist sozusagen aus dem Nichts aufgetaucht. Am einen Tag kennt ihn niemand, am nächsten erscheinen seine Artikel, und
er hält überall Vorträge. Dazu kommt die Qualität der Reaktionen. Wenn Sinclair etwas sagte, reagierte tatsächlich jemand aus der Regierung darauf; man begann eine Debatte, statt ihn einfach zu ignorieren. So war er plötzlich an vorderster Front, dieser gut aussehende blonde Mann mit den imposanten Ideen, der es mitten im Krieg riskierte, nach Nordvietnam, nach Hanoi, zu reisen. Er wurde bei Demonstrationen verhaftet, kam aber immer schnell wieder frei. Was für eine PR das für ihn war! Zynisch betrachtet könnte man sagen, dass gewisse Kongressabgeordnete und Leute aus den Johnson- und Nixon-Regierungen ihn letztlich zum großen Sprecher der Linken machten, indem sie ihm Aufmerksamkeit schenkten. Und sie schienen alle eine Verbindung zu den Geheimdiensten zu haben.«
»Interessant.«
»Ja. Was wollen Sie mit diesen Informationen anfangen?«
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Virgil. »Ich versuche, mehrere Morde aufzuklären, die offenbar in die Vietnamzeit zurückreichen.«
»Wenn es Ihnen gelingt, die Fälle zu lösen, und wenn sie tatsächlich etwas mit Vietnam zu tun haben, lassen Sie es mich wissen. Darüber würde ich gern schreiben.«
»Verfolgen Sie die Nachrichten. Die Story ist schon raus, und es interessieren sich immer mehr Leute dafür. Ich gebe Ihnen meine Nummer.«
»Virgil Flowers, was für ein Name für einen Polizisten. Eigentlich arbeiten Sie für die CIA, stimmt’s? Sie wollen mein Haus, mein Büro und meinen Wagen verwanzen …«
»Müssen wir nicht«, sagte Virgil. »Weil wir bereits alle Ihre Zahnfüllungen durch Mikrofone ersetzt haben.«
Lutz lachte. »Vielleicht krieg ich deshalb die alten ABBA-Songs nicht aus dem Kopf.«
»So grausam sind wir auch wieder nicht.«
Andreno trug eine hellbraune Hose und ein taubenblaues Golfhemd sowie eine dicke Goldkette um den Hals und hatte einen Kaugummi im Mund. Als Virgil ihn sah, dachte er: Perfekt.
»Hallo«, begrüßte Andreno Virgil und streckte ihm die Hand hin.
»Holen wir die andern.«
Jenkins, Shrake und Andreno versammelten sich in Virgils provisorischem Büro, wo dieser ihnen die Kopien der Fotos zeigte.
»Brutal, der alte Ralph«, bemerkte Jenkins und betrachtete die Bilder von der Vergewaltigung genauer. »Das ist er, kein Zweifel.«
Shrake nahm ihm die Fotos aus der Hand. »Was machen wir, wenn er’s einfach abstreitet und behauptet, er wär nie in Vietnam gewesen? Es könnte doch jemand anders sein.«
»Wegen Vietnam kriegen wir ihn wahrscheinlich eh nicht dran«, erklärte Virgil. »Zu lange her, und außerdem ist nur noch ein Augenzeuge am Leben, der vermutlich sowieso nicht aussagen würde. Wir müssen Warren aus der Reserve locken, damit er sich
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