Blutige Rosen
Stirn, wo zahlreiche, kleine Wunden saßen, rann das Blut über seine Brauen hinweg in die Augen, bei denen es die Höhlen ausfüllte. Es lief auch in den Mund, und Victor schmeckte den süßlich metallischen Blutgeschmack auf der Zunge.
Er rollte sich zur Seite. Wie er auf die Füße kam, wusste er selbst nicht. Der andere ließ ihn auf jeden Fall. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er über seine Augen, verschaffte sich für einen Moment freies Sichtfeld und sah vor sich einen hochgewachsenen Mann im dunklen Mantel. Grinsend schaute der Fremde ihn an. In der rechten Hand hielt er nach wie vor den makabren Strauß. Einige der Gesichter hatten sich verändert. Sie waren durch die Kraft des verzweifelten Menschen zerstört worden und zerliefen sogar.
Ein so schreckliches und schauriges Bild hatte Victor noch nie in seinem Leben gesehen.
Seine Beine wollten ihn nicht mehr halten. Sie gaben nach, und er taumelte mit dem Rücken gegen eine der Blumenbänke, deren scharfe Kante in sein Kreuz stieß.
Weit hatte er den Mund aufgerissen. Das Blut rann aus zahlreichen kleinen Wunden über sein Gesicht, und der andere würde es leicht haben, ihm jetzt den Rest zu geben, aber er zögerte. Der Mann kostete die Situation aus, er wollte seinen Gegner leiden sehen und erleben, wie er starb.
Obwohl Victor am gesamten Körper die Schmerzen spürte, raffte er sich zu einer Frage auf. »Warum tun Sie das? Warum, verdammt? Was ist hier eigentlich los?«
Der Mann vor ihm lächelte. Dabei sah es so aus, als würde sein Gesicht zerfließen. »Ich will dir etwas sagen«, antwortete er mit dumpfer Stimme.
»Menschen waren es, die vor langen Jahren die Hexen gequält und getötet haben. Sie nahmen die Hölle nicht ernst. Sie spielten mit ihrem Schicksal und glaubten, einen Sieg errungen zu haben. Aber diese Erde hier war dem Bösen geweiht. Der Turm und der Boden ist mit Hexenblut getränkt, das lange Jahre kochte und wallte und erst durch Wikka und mich seinen Weg fand, um grausame Rache zu nehmen. Aus den Hexen wurden Blumen, Rosen. Die Blumen der Liebe verwandelten sich in einen Gruß aus der Hölle. Der Teufel nahm sich ihrer an. Er sorgte dafür, dass die Hexenseelen auf diese Art und Weise zurückkamen, um sich an den Menschen zu rächen. Die Schmach muss getilgt werden. Du wirst als erster sterben, denn wer einmal die Rosen gesehen, kommt nicht von ihnen weg.«
»Sie wollen mich töten?« hauchte Victor.
»Du bist schon tot.«
»Nein!« schrie er. »Nein, ich lebe. Ich will und ich werde nicht sterben.«
»Deine Chance hast du verpasst. Im Hexenturm hat man dich gewarnt. Du hättest weglaufen sollen. Jetzt ist es zu spät, denn du trägst den Keim der Rache bereits in dir!«
»Welchen Keim?«
Da lachte der andere. »Den Keim, dich zu verändern. Jeder, der von den lebenden Rosen gebissen wird, gerät selbst in den tödlichen Kreislauf. Wie du. Merkst du es nicht?«
Victor beugte sich vor. Abermals musste er sich das Blut aus den Augen wischen. »Was soll ich merken?«
»Das Hexengift der Rosen.«
»Nein, ich merke nichts.«
Der Mann lachte. »Das wird sich bald ändern. Glaub mir. Warte noch ein paar Sekunden, bis sich dein Blut mit dem der anderen richtig vermengt hat.«
»Was… was soll das?«
Der Fremde gab keine Antwort. Er lächelte nur wissend, und Victor bekam Todesangst. »Ich bin der erste«, flüsterte er. »Ich bin der erste. Wofür bin ich der erste?« Seine Stimme überschlug sich.
»Schau dich an!«
Für einen Moment zögerte er, als wollte er das Schlimme nicht einmal sehen. Als der zweite Befehl aufklang, da senkte er tatsächlich den Kopf. Und er sah seine Haut.
Sie hatte eine andere Tönung angenommen. Zeigte sie normalerweise einen gesunden Ton, so wurde der von einem grünlichen Schimmer verdrängt. Grün, wie der Stiel einer Rose…
»Du wirst selbst in eine Rose verwandelt!« hörte er die dumpfe Stimme des anderen.
Victor öffnete den Mund. Er wollte es nicht glauben, nicht fassen. Nein, das konnte nicht sein. »In eine…«
»Ja, in eine Rose«, lachte der andere kalt.
»Wer bist du, dass du so etwas Schlimmes sagen kannst?« fragte Victor flüsternd. »Wer?«
»Ich bin Gordon Schreiber. Merke dir meinen Namen, denn ich werde bald dein Herr sein.«
»In eine Rose«, hauchte Victor. »In eine Rose.« Er hatte den Namen des anderen nicht mitbekommen und schaute nur auf seine Hand. Es stimmte, die Haut sah wirklich anders aus. Er hatte sich beim ersten Hinsehen nicht
Weitere Kostenlose Bücher