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Blutige Seilfahrt im Warndt

Blutige Seilfahrt im Warndt

Titel: Blutige Seilfahrt im Warndt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Schwab
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hatten sie jeden Cent für die Krankenversorgung seiner Schwester Anna ausgegeben. Anna hatte an einer seltenen Erbkrankheit gelitten, am Aicardi-Syndrom. Lange Zeit war diese Krankheit nicht richtig erkannt worden. Ihr ganzes Geld hatten seine Eltern in Heilmaßnahmen für die Tochter gesteckt – mit dem Ergebnis, dass sie hinterher pleite waren, Anna starb und die neueste Erkenntnis lautete, dass alles ohnehin umsonst gewesen war. Die Krankheit war nicht heilbar.
    So hatte sich der erste Teil seines Lebens fast nur um seine kranke Schwester gedreht, die der Mittelpunkt der Familie gewesen war. Nach Annas Tod begann für Grewe eine neue Ära. Nämlich die Chance, seinem Vater zu zeigen, dass er es wert war, genauso geliebt zu werden. Also wählte er den gleichen Beruf wie sein Vater, womit es Grewe gelungen war, die ganze Familie mit Stolz zu erfüllen.
    Doch leider nur für kurze Zeit.
    Er hatte es nicht geschafft, seinen Eltern wirklich zu gefallen. Hatte den Beruf des Bergmanns nicht ausüben können, weil er nicht für die harte Arbeit unter Tage geschaffen war. Den enttäuschten Gesichtern seiner Eltern hatte er nur entkommen können, indem er aus dem Warndtdorf fortzog und sein eigenes Leben begann. Der Job als Kriminaloberkommissar gab ihm selbst das gute Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Doch seinen Eltern genügte das nicht.
    Und nun war er zurückgekehrt in dieses Haus, das er nur mit negativen Gefühlen verband. Die vergoldeten Vitrinen und Spiegel würde er am liebsten aus dem Fenster werfen, weil sie ebenso unecht waren wie der Stuck an den Decken. Diese Scheinheiligkeit, um nach außen eine perfekte Familie abzugeben, stank ihm. Denn in Wirklichkeit war das genaue Gegenteil der Fall. Immer noch redete seine Mutter von Anna. Und sein Vater trug ihm seinen Weggang vom Bergmannsberuf weiterhin nach. Seine Entscheidung, sich undercover in die Grube zu begeben, verschlimmerte die Spannungen nur noch. Der Plan, hier zu leben, als sei er ein echter Bergmann, der nur darauf wartete, dass in dieser Siedlung eine Wohnung für ihn frei würde, ließ seinen Einsatz echt erscheinen. Nur machte es ihm und seiner Familie das Leben umso schwerer.
    Es reichte nicht, dass er sich unter Tage quälte. Die Unannehmlichkeiten gingen über Tage weiter.
    Wenn er die Augen schloss, um nicht sehen zu müssen, wo er sich gerade aufhielt, erinnerte er sich wieder an seinen heutigen Arbeitstag im Stoß. Das Gefühl, das sich in ihm ausbreitete, seit er Bonhoff mit den anderen Männern aus Remmarks Partie hatte diskutieren sehen, fraß an ihm. Er fühlte sich verraten. Was für ein Spiel spielte Bonhoff mit ihm? Nutzte er diese Gelegenheit, um sich an Grewe zu rächen? Nach all den Jahren?
    Grewe wollte sich nicht eingestehen, dass er sich für seine Fehleinschätzung Bonhoffs in Grund und Boden schämte. Deshalb hatte er es an diesem Tag vermieden, nach der Grubenschicht zu seinen Kollegen bei der Kripo zu fahren. Er hatte einfach nur angerufen und als Ausrede vorgeschoben, müde zu sein. Schnur hatte ihm das abgekauft. Zum Glück. Der Chef hatte ihn nicht mit unnötigen Fragen bombardiert. Nur so war es Grewe möglich zu verbergen, was wirklich in ihm vorging.
    Vor Andrea oder Anke wäre ihm das niemals gelungen. Die beiden Kolleginnen waren verdammt gut. Sie konnten mehr aus Gesichtern lesen als er oder Erik oder Schnur. Sie hätten seine Gemütsverfassung erkannt und ihn dann gelöchert, womit alles nur noch schlimmer geworden wäre.
    So hatte Grewe nur telefonisch durchgegeben, dass wieder ein Mann gesehen worden war, der für Karl Fechter gehalten wurde.
    Nach Schnurs Aussage hatte das Einsatzkommando am Schacht Lauterbach niemanden kommen oder gehen sehen. Und Schnur war sich sicher, dass diesen gut geschulten Männern nichts entgangen sei. Das machte es wirklich kompliziert.
    Grewe lag wie gelähmt auf dem schmalen Bett und versuchte, seine Angst zu verdrängen. Aber das wollte ihm nicht gelingen. Und zugeben würde er es auch nicht. Vor niemandem. Sogar vor sich selbst nicht.
    Wer war dieser Mann, den Tremante und Rach für Karl Fechter hielten? Er schien zu keiner Partie zu gehören. Und wie es aussah, war er bisher nur zweimal gesehen worden, was bedeutete, dass er sich sehr bedeckt hielt. Das stellte Grewe vor die Frage, ob diese beiden Begegnungen mit Rach und Tremante ein Versehen waren oder gewollt.
    Plötzlich machte sich ein Gedanke in seinem Kopf breit und ließ ihn nicht mehr los: Vermutlich

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