Blutige Seilfahrt im Warndt
war er immer eine Frohnatur. Deshalb kam mir das komisch vor. Er hat seinen Job unter Tage geliebt.«
»Und weiter?«
»Als ich ihn gefragt habe, was los sei, wich er mir aus.«
»Warum das denn? Ich dachte, Sie hätten sich alles sagen können.«
»Deshalb habe ich ihn mit meinen Fragen gelöchert. Aber er ist mir ausgewichen. Er meinte, er wollte mir auf keinen Fall das Interesse an dem Bergmannsberuf nehmen, indem er mir erzählte, was gerade dort unten herrschte. Das wäre einfach nur eine Ausnahmesituation und bald wieder vorbei. Er wollte mich nicht damit belasten.«
»Sie wollten Bergmann werden?« Anke stutzte.
Tim Fechter nickte.
»Und jetzt nicht mehr?«
»Nein! Das Unglück hat mir die Lust an dem Job genommen.«
Das konnte Anke verstehen.
Sie legte ihm das Protokoll vor, das Tim Fechter unterschrieb. Dann erhob er sich, verabschiedete sich mit Handschlag und verließ mit schnellen Schritten das Büro.
Auf dem Flur wäre er fast mit einem Polizeibeamten zusammengestoßen. Der schwarzhaarige Mann wirkte geistesabwesend, weshalb er von dem Stoß fast umgefallen wäre.
Vor Schreck entschuldigten sich beide Männer gleichzeitig mehrere Male, bevor der Besucher den Flur endlich verließ.
Anke schaute nach, was dort los war, und freute sich, als sie Grewe kommen sah.
»Ihr wart aber nett zueinander«, meinte sie lachend.
Grewe schüttelte verlegen den Kopf und murmelte: »Ich habe den Typ gar nicht gesehen, so war ich in Gedanken.«
»Klingt so, als gäbe es Neuigkeiten aus dem Hades.«
»Ja!«, meinte der Kollege. »Karl Fechter hatte tatsächlich eine medizinische Ausbildung für die Notfallversorgung unter Tage.«
Kullmann und Schnur standen im kalten Wind vor dem Fördermaschinenhaus, das sie gerade verlassen hatten. Sie gingen die Grubenstraße entlang, die auf der gegenüberliegenden Seite von weiteren Gebäuden der Velsener Tagesanlage flankiert wurde. Am imposantesten prangte ihnen das ehemalige Verwaltungsgebäude entgegen, dessen Fassade ein mächtiger Mittelrisalit zierte. Am Turmobergeschoss stand über einem aufwändigen Rundbogenfries Velsen Glück Auf. Rechts und links daneben schlossen sich Waschkaue und Zechenhaus an. Alle Gebäude waren originalgetreu erhalten geblieben. Der Baustil stammte aus dem Späthistorismus. Der Gesamteindruck, der durch diese historischen und gut erhaltenen Gebäude entstand, beeindruckte die beiden Betrachter. Lange flanierten sie durch die Kälte und gaben sich gegenseitig Hinweise, vor welchem Gebäude sie gerade standen. Bis sie sich eingestehen mussten, dass sie es selbst nicht so genau wussten.
»Da muss uns wohl ein Fachmann aufklären«, erkannte Kullmann.
»Und die haben gerade andere Interessen, als der Polizei eine Führung über das Grubengelände zu gewähren«, erkannte Schnur griesgrämig.
Am Ende des Grubenweges befand sich eine Durchfahrt zur Müllverbrennungsanlage, die mit Schranken abgesichert war. Dort kehrten sie um und legten den Weg wieder zurück, den sie gerade gekommen waren. Vor ihren Augen konnten sie das alte, kleinere Fördermaschinenhaus sehen, das inzwischen zur Heizzentrale umfunktioniert worden war. Die Bauweise war die gleiche, doch wirkte dieses Gebäude vernachlässigt. Einige der hohen Scheiben der Rundbogenfenster waren zerstört.
»Wusstest du, dass die saarländischen Bergwerke schon mehrere Male in französischer Hand waren?«, fragte Kullmann bei dem Anblick der Ruine.
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, gab Schnur zu. »Aber wenn man unsere Saarländische Geschichte berücksichtigt, ist es kein Wunder.«
»Von 1920 bis 1935 waren diese Gruben unter französischer Verwaltung. Und dann wieder von 1949 bis 1957«, berichtete Kullmann. »Gestern hatte ich ein Treffen mit Freunden aus alten Zeiten. Dabei sind wir auf das Thema Grube zu sprechen gekommen. Ist ja zurzeit in aller Munde, wegen den bevorstehenden Schließungen und dieser spektakulären Todesfälle. Da habe ich Interessantes erfahren!«
»Und was?«
»Im 2. Weltkrieg wurden die lothringischen Tagesanlagen zerstört, die Schächte liefen voll Wasser. Um einen Wiederaufbau zu ermöglichen, wurden die französischen Kohlenbergwerke nach dem Krieg verstaatlicht, die Lothringer Unternehmen wurden 1946 zur staatlichen Gesellschaft Houillères du Bassin de Lorraine (H.B.L.). Als Entschädigung für die Zerstörungen französischer Bergwerke wurden 1949 Pachtverträge abgeschlossen, die es der H.B.L. erstmals erlaubten, auch auf
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