Blutige Seilfahrt im Warndt
saarländischem Boden Schächte abzuteufen und die Warndtkohlenfelder unter Zahlung eines Pachtzinses kostengünstig abzubauen. Sie bekamen den gesamten Warndt – außer der Grube Velsen. Also arbeiteten französische und deutsche Bergarbeiter zusammen in den gleichen Stollen, die eigentlich auf deutschem Boden lagen, jedoch durch den Pachtvertrag der Franzosen in französischer Hand waren. Erst im Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Regelung der Saarfrage vom 27. Oktober 1956 erklärte sich Frankreich damit einverstanden, dass sich der Anwendungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ab 1. Januar 1957 auf das Saarland erstreckt. Das heißt, dass erst ab 1957 dieses Gruben als deutsch galten, wobei die Pachtverträge noch Jahre weiterliefen.«
»Was willst du mir damit sagen?«
»Dass das unterirdische Labyrinth aus deutschen genauso wie aus französischen Stollen besteht – nur mit dem Unterschied, dass heute die benachbarten Bergleute nichts mehr miteinander zu tun haben. Heute weiß niemand mehr so genau, wie es dort unten aussieht. Nur noch die übriggebliebenen Urgesteine aus dem Bergbau, von denen gestern einige bei unserer Runde anwesend waren. Die alten Karten sind in deutschen und in französischen Archiven verstreut.«
Schnur lachte und meinte: »Danke für deinen Geschichtsunterricht in Sachen saarländischer Bergbau. Wie gut, einen erfahrenen Mann wie dich im Team zu haben. Du schaffst es immer wieder, Hintergründe an die Oberfläche zu zaubern, auf die von uns niemand kommen würde.«
»Danke für das Kompliment!« Kullmann lachte.
»Nur keine falsche Bescheidenheit«, meinte Schnur, während sie wieder in Richtung Parkplatz schlenderten.
Sein Blick fiel auf die Schachthalle. Sie wirkte wie schnell zusammengeschustert. Wellbleche, Betonplatten, Gummimatten, Glasscheiben und Stahlgitter bildeten ein wahlloses Durcheinander. Dieser Anblick ließ kaum darauf schließen, dass sich dahinter ein Schacht befand, der in eine Tiefe von fast 1100 Metern reichte – wäre nicht der hohe Förderturm darüber.
Direkt davor stand das Fördermaschinenhaus, dessen antike und großzügige Bauweise die Sicht zur Schachthalle zum größten Teil verdeckte.
»Mir fällt etwas ein«, meinte Schnur. »Wir müssen uns noch mal kurz mit Hemmerling unterhalten.«
»Was willst du noch von ihm wissen?«, fragte Kullmann.
»Wer seine Ablösung ist. Den Namen hat er uns nämlich nicht gesagt.«
Sie steuerten den rechten Teil des Doppelhauses an, stiegen die Freitreppe hoch und gingen hinein. Schnur wollte die Tür zur hölzernen Kammer öffnen, doch sie war verschlossen.
Verdutzt schaute er auf Kullmann, der vor der großen Frontscheibe stand, mit der Hand seinen Blick vor Spiegelungen schützte und hineinschaute. »Der Vogel ist ausgeflogen.«
»Das ging aber schnell«, sagte Schnur. »Und wer überwacht jetzt die Ein-und Ausfahrten dieses Schachtes?«
Kullmann rümpfte die Nase und murrte: »Das stinkt zum Himmel! Hemmerling steckt vermutlich mit in diesem Geschäft. Weil er die Überwachungsposition hat, ist es für unseren gesuchten Mann kein Problem, rein und raus zu fahren. Die arbeiten alle zusammen.«
»Wir sollten Hemmerling observieren lassen.«
»Habt ihr dafür genug Personal?«
Schnur dachte eine Weile über diese Frage nach, bis er sagte: »Wir müssten dafür die Leute vom Schacht Lauterbach abziehen.«
»Und das aufgrund einer vagen Vermutung? Das halte ich für sehr riskant«, gab Kullmann zu bedenken. »Der Schacht in Lauterbach könnte gerade jetzt für diese Männer interessant geworden sein, weil sie wissen, dass wir hier überall herumschnüffeln.«
Ein metallisches Klirren lenkte sie ab. Schnur öffnete sein Holster und legte seine Hand an die Waffe, während er sich in der großen Halle umsah. Kullmann suchte den Bereich am Eingang ab. Aber es war niemand zu sehen.
»Ich glaube, unsere Nerven haben uns einen Streich gespielt«, meinte Schnur und lachte verlegen.
Helmer Grewe stand am Küchenfenster und schaute hinaus auf den großen Platz vor dem Mietshaus. Die Bäume waren inzwischen gelb und karg. Den Boden bedeckte braunes Laub. Einige Jungs spielten Fußball. Junge Mädchen flanierten über den Bürgersteig in Richtung Dorfmitte.
Hinter sich hörte er seine Frau, wie sie wieder einmal über den Boden wischte. Dabei hatte sie erst am Vortag geputzt und alles abgewischt und abgestaubt. Der Sauberkeitsfimmel seiner
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