Blutige Spuren
ihren Bewegungen duzten sie sich bereits.
Er ging zurück ins Wohnzimmer, legte eine zweite Saint-Saëns- CD auf, setzte sich in einen Sessel neben dem Esstisch und richtete seinen Blick auf den Gemäldedruck, während sein Freund das gleiche Essen noch einmal zubereitete.
Rolf hatte der jungen Frau die brodelnde Auflaufform vorgesetzt. Sie hatte sich überreden lassen, ein kleines Glas eiskalten Riesling dazu zu nehmen. Dann probierte sie das Essen, kaute und schloss die Augen. Sie machte Geräusche und lächelte, hielt ein Stück Brot in der Hand, redete und schielte dabei bereits auf die nächste Ecke der Form, um das Brot in die mit Rosmarin geschwängerte Sauce zu tunken, und sie betrachtete eine Rosenkohlknospe, die sie auf ihre Gabel gespießt hatte, und eine Haarsträhne rutschte ihr in die Augen.
Sternenberg hatte plötzlich das Gefühl, ein Voyeur zu sein. Er hatte Isabel die ganze Zeit beobachtet und kaum zugehört. Deshalb rief er sich selbst zur Raison, stellte sein Glas ab und fragte sie nach den Neuigkeiten.
Sie sammelte sich und grinste. » Ich war in der Wohnung von Seesand. Das erzähle ich euch anschließend. Dein Typ war doch auch so ein Merkwürdiger, ne? Maler oder so? « Sie pustete den aufgespießten Rosenkohl an. » Nach der Seesand-Wohnung bin ich noch einmal ins Dezernat gefahren. Eigentlich wollte ich sehen, ob wir schon eine Mail von der Rechtsmedizin über unsere Toten im Grunewald haben. War aber nichts. «
» Noch Wein? « , fragte Korbmann.
» Nein danke « , sagte Isabel.
Sternenberg hielt sein Glas hin, und Korbmann wechselte die Flasche von Weiß nach Rot.
» Jedenfalls … Ich sehe, dass Wolfgang noch da ist, Wolfgang Lichtenberg, unser Kollege. So à la ›Fräulein Dacosta‹ und so, kennst ihn ja. «
Sternenberg lehnte sich zurück, tastete aber mit den Fingern die Tischplatte ab. Er saß jetzt wieder so, dass er beide im Profil sah und sie gemeinsam ein Dreieck bildeten.
» Also, ich setze mich bei Wolfgang auf die Couch … « Sie hockte sich breitbeinig auf dem Stuhl zurecht, beugte den Oberkörper vor und schob sich den Stiel der Gabel langsam zwischen die gestülpten Lippen.
Sternenberg lachte herzhaft. Er konnte sich Wolfgang Lichtenberg in ihr lebhaft vorstellen.
Korbmann lächelte ob der Vorführung, er kannte Lichtenberg ja nicht.
» Na ja, und er beginnt natürlich mit seiner Schweigerei … « Und in Korbmanns Richtung ergänzte sie: » … mit seiner berüchtigten. «
» Komm auf den Punkt, Isabel, bitte! «
Sie senkte wieder den Kopf über den Teller, blickte Sternenberg von unten her an und ließ sich Zeit. » ›Wir haben …‹ « , brummte sie und machte eine weitere Pause.
Sternenberg grinste und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
» ›Wir haben Erkenntnisse, was den …‹ « Sie schob sich erneut die Gabel in den Mund, » paffte « und kneistete die Augen zusammen, als störe sie der » Rauch « , der aus der Gabel kam. » ›… was den Herrn von Haberstein angeht.‹ «
» Was denn? «
Für einen Moment durchbrach sie ihre Rolle und ruderte mit den Armen. » Mann, lasst mich doch mal machen, Jungs! « Erneut sackte sie in sich zusammen und wurde zu Lichtenberg. » ›Sie müssen jetzt bärenstark sein!‹ « Sie funkelte mit den Augen Rolf Korbmann an, der grinsend eine eisern wartende Isabel mimte, allerdings wenig überzeugend.
Sternenberg gab auf. Selbst er musste zugeben, dass er nie eine treffendere Parodie auf seinen langjährigen Mitarbeiter und – wie er es jetzt sah: künftigen Vorgesetzten – erlebt hatte.
Isabel unterbrach ein weiteres Mal ihr Schaugespräch: » Hättet ihr das nicht auch sonderbar gefunden, dass er mich auffordert, stark zu sein? Ich meine, ich war es schließlich, die die Überreste des Vizepräsidenten auf dem Dachboden gesehen hat, nicht er … Also, jedenfalls … « Wieder mit Lichtenbergs Habitus verkündete sie zögernd: » ›Ich habe mit unserem Baron von der Rechtsmedizin gesprochen. Er war … äußerst vorsichtig. Was die Pathologen zunächst … festgestellt haben, relativiert unsere bisherigen Erkenntnisse. « Sie » paffte « mit der Gabel.
Sternenberg warf einen ungeduldigen Blick auf die Reste von Rosenkohl und Maronen in Isabels Auflaufform.
» Natürlich habe ich gedrängelt « , versicherte Isabel. » Aber du weißt ja, Kai, damit hat man bei Wolfgang keine Chance. «
» Ich weiß es spätestens jetzt. «
» Er sah mich also an und sagte: ›Bei der Untersuchung des Darms
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