Blutige Spuren
denn? Ich denke … sie hat mir geschrieben, dass alles läuft. «
» Dad! Es läuft nicht. Sie will ihr Studium schmeißen. Und sie hat keine Ahnung, was dann. «
Er schaute die Treppen hinunter.
Anja kam einen Schritt näher. » Ich habe ihr nichts von meinen Familientheorien erzählt, weil es ihr sowieso dreckig geht. Ist schon eine Weile so. Wir haben gedacht, es geht vorbei. Wollten dich nicht belasten. Aber … Ich glaube, es reicht nicht, bis Weihnachten zu warten. Wir müssen irgendwas machen. – Jetzt lass uns reingehen, mir wird kalt! «
Sternenberg folgte seiner erwachsenen Tochter in das Museum.
Auf seine Nachfragen ging sie nicht ein. Sie wollte, dass sie sich erst mal die Bilder ansahen.
Plötzlich blieb Sternenberg vor einem Gemälde stehen. » Schau mal, das ist ja interessant: Das Innere des Palmenhauses, 1832 – 1834. Von Carl Blechen. Dieses Bild haben wir in Groß gefunden, bei einem Ermordeten … Allerdings ohne die Frauen, die da sitzen. «
» Und da hinten ist noch eine « , sagte Anja. » Da, an einem kleinen Brunnen. Sie schaut direkt her. «
Sie gingen ein Stück weiter.
Beim Anblick der Gebirgsschlucht im Winter verschränkte Sternenberg die Arme vor der Brust. » Das ist auch von Blechen? Wirkt erheblich dunkler. « Er schaute sich um, ob in der Nähe die Öffnung einer Lüftung oder einer Klimaanlage war. Ihn fröstelte.
Im Vordergrund stand das Skelett eines verwitterten Baumes, dahinter lag eine Felsenschlucht.
» Beachten Sie das Haus! «
Sternenberg sah zwischen Anja und sich einen grauen Scheitel, Haarwachs und eine billige Lesebrille. Der Museumswächter, der eben noch auf seinem Hocker gesessen hatte, war zu ihnen gekommen, die Hände hinter dem Rücken.
» Sehen Sie es? «
Die beiden Sternenbergs traten einen Schritt vor und streckten die Köpfe zum Bild.
» Da! « , sagte Anja. Zwei kleine Fenster-Lichtpunkte eines Hauses sahen aus wie ein Gesicht.
Der Mann trug einen hellgrauen Pullunder unter seinem Uniformjackett.
» Wir wundern uns gerade « , sagte Sternenberg. » So ein helles Bild da vorn im Palmenhaus und dagegen dieses düstere hier. Dieser Blechen ist ungewöhnlich. «
Der Mann sah sie nicht an. Er schien mit dem Gemälde zu sprechen. » Carl Blechen hat in einer Bank gearbeitet. Das hat er aufgegeben. Um sich ganz der Kunst zu widmen. Mit seinem Ersparten hat er Italien bereist und viel gemalt. Nach fünf Jahren erkrankte er an Depressionen. Das hat seine Kreativität eingeschränkt. «
Sternenberg nickte anerkennend.
Der Pullunderträger sagte: » Carl Blechen war ein romantischer Maler. Das heißt, er hat seine Motive nicht idealisiert, wie es zu seiner Zeit Mode war. Er hat sie manchmal ironisiert. «
» Ironisiert? « Sternenberg sah sich das düstere Bild noch einmal an. » Weiß nicht. Sieht eigentlich nur trist aus. «
Anja meinte: » Na ja, diese Marienstatue neben dem Baum, die ist genauso verwittert und von Moos bewachsen wie der Baum selbst. Vielleicht wurde das damals als Ironie verstanden. «
» Die Statue hab’ ich gar nicht gesehen « , sagte ihr Vater.
Der Mann nahm die Lesebrille ab. » Ich bin natürlich kein Kunstfachmann. «
» Danke für Ihre Hinweise « , sagte Kai Sternenberg.
Seine Tochter knuffte ihn leicht. » Dad – solche Männer mag ich. «
» Hey, hey, hey! Pass auf, an wen du dein Herz verschwendest, Töchterlein! «
In der Tadschikischen Teestube in der Nähe der Alten Nationalgalerie hatte sich Anja einen Tee mit allem Drum und Dran bestellt. Ihr Vater beobachtete, wie sie mit den Gerätschaften umging, und bestand darauf, nicht zu kosten. Er hielt sich an einem Kaffee fest.
» Wie kommt man denn am besten nach Coimbra? « , fragte er. » Haben die einen Flughafen? «
» Dad, Tatti will nicht, dass du sie besuchst. Schlag dir das aus dem Kopf! Jedenfalls jetzt nicht. Ruf sie lieber an. Und markier’ nicht den Seelsorger. «
» Ehrlich gesagt, weiß ich im Moment nicht, was ich machen soll. Ich fliege hin und basta … «
Anja sah ihn streng an. Dann legte sie eine Hand auf seine. » Coimbra liegt auf halber Strecke zwischen Porto und Lissabon. Beide Städte kriegt man mit ’nem Billigflieger. Den Rest mit der Bahn, zwei oder drei Stunden. Bus kann man auch nehmen, aber Tatti meint, auf der Autobahn verlieren die Portugiesen alle Hemmungen. «
» Warum, meinst du, soll ich nicht zu ihr? «
» Ihr fehlt Berlin. Ihre Freunde. Deutsch. «
Er dachte an Isabel, wie sie bei Rolf Korbmann portugiesische
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