Blutige Spuren

Huth bestimmt nicht vergessen, die Putzdosen zu reinigen. Zweitens hätte er die Kacheln im Bad – und vor allem die Fugen – sorgfältiger geputzt. Da es sein eigenes Blut war, noch dazu in größerer Menge, müssen wir von Fremdverschulden ausgehen. Der Läufer im Flur ist laut Spurensicherung ganz neu. Vermutlich wurde er ausgetauscht. Alles in allem stelle ich die These auf: Frank Huth wurde bereits in seiner eigenen Wohnung verletzt, womöglich sogar getötet. «
    » Und nicht erst im Grunewald « , fügte Isabel versonnen hinzu.
    Es war eine Weile ruhig am Tisch. Nur die Thermoskanne sang vor sich hin.
    Tarek brach als Erster die Waffenruhe.
    » Wenn Huth in seiner Wohnung nur verletzt wurde, hätte er in den Wald fahren und mit den beiden anderen um Leben und Tod kämpfen können. Dazu hätte er aber vorher hier reinen Tisch machen müssen – und einen neuen Läufer kaufen. Unwahrscheinlich. Warum sollte er überhaupt so schnell sauber machen, wenn das Treffen mit Seesand und Gusewski dermaßen wichtig war? Er hätte den Hausputz später erledigen können. Schließlich wusste er wohl kaum, dass er nicht mehr zurückkommt. «
    » Alles Theorie « , stöhnte Isabel.
    » Anders kommen wir im Moment nicht weiter « , sagte Sternenberg. » Ich finde Tareks Ansatz richtig. Wir waren doch gestern schon so weit, es als Unsinn zu entlarven, dass die drei sich gegenseitig umgebracht hätten. Haben wir immer noch keine Hinweise auf einen vierten Mann, Tarek? «
    » Ich bin bei der Zusammenfassung, Chef. Kommen ständig neue Erkenntnisse dazu. Ein vierter Mann, klar, kann sein. Ebenso ein fünfter, sechster, zehnter, zwanzigster. «
    Isabel kräuselte die Stirn.
    Tarek verfiel in einen entschuldigenden Tonfall. » Ich hab’ geglaubt, im Wald gibt es Spuren von Füchsen und Vögeln und Wildschweinen, sonst nichts. Aber da findet man ja alles! Spaziergänger laufen querfeldein, wahrscheinlich gerade im Winter, wenn das Unterholz lichter ist. Dann gibt es Spuren von Fahrzeugen, noch und nöcher. Forstwagen, Polizei, illegales Müllabladen, Treffen von Jugendlichen oder Dealern in der Nacht … Ich glaube, auf U-Bahnhöfen passiert nachts weniger als im Grunewald. «
    Sternenberg war froh, Tarek kurz zuvor spontan gelobt zu haben. Denn nun hatte er das Bedürfnis, ihm über den Mund zu fahren und seine Schlamperei zu tadeln. Andererseits war Tarek wahrscheinlich gar nicht schuld. Jedenfalls wollte er jetzt von seinem Mitarbeiter keine langen Ausführungen über die Schwierigkeiten hören, im durchnässten, durchmatschten und nun auch noch stellenweise überschneiten Waldboden eindeutige Zuordnungen hinzubekommen. Als er seinen Mitarbeiter unterbrach, fiel ihm auf, dass seine eigene Hand mit der Kante auf den Tisch schlug – wie ein Fallbeil, um Tarek das Wort abzuschneiden.
    » Ich möchte, dass wir von jetzt an der Theorie vom vierten Mann folgen. ›Vierter Mann‹ kann auch heißen: mehrere Männer, mehrere Personen. Jedenfalls jemand, der alle drei – Gusewski, Huth und Seesand – umgebracht hat. Huth wahrscheinlich bei ihm zu Hause. «
    » Ich hab’ die Spurensicherung gebeten, auch die Wohnungen von Gusewski und Seesand auf einen Mordhergang zu untersuchen. Sie sind unterwegs « , teilte Saskia daraufhin mit.
    » Gut. Außerdem brauchen wir ein Ergebnis, ob an der Kleidung der drei auch das Blut eines Vierten klebt « , sagte Sternenberg. » Aber ich will euch noch etwas berichten. Und das stützt unsere neue These. «
    Er blickte zu Saskia und fragte sich, ob es richtig war, ihr gegenüber zu sagen, was er über die Informationsweitergabe an den mutmaßlichen Entführer dachte, der ihn Sonntagnacht bei der Telefonseelsorge angerufen hatte.
    » Ich glaube, es gibt eine Verbindung zwischen den Morden an Huth, Gusewski und Seesand und der Entführung oder Tötung des Polizeivizepräsidenten. «
    Er machte eine Pause. Dodorovic war der Unterkiefer herabgefallen, er stützte sich auf die Thermoskanne, deren Inhalt von den Anwesenden verschmäht wurde.
    » Ich nehme an, derjenige, der mich bei der Telefonseelsorge angerufen und von der Entführung gesprochen hat, ist der Täter. Er wusste, dass ich Polizist bin und an diesem Abend Telefondienst hatte. Das konnte er nur wissen, wenn er mein Gespräch mit Saskia im Dreihirtenhaus gehört hat.«
    » Ich hätte es jemandem erzählen können « , meinte Saskia trocken.
    » Und? Hast du? « , fragte Sternenberg.
    » Ich hab’s als Presseerklärung rausgefaxt « ,