Blutige Stille. Thriller
überquellenden, von Arbeitseifer zeugenden Personalakten blätterten und natürlich ihren eigenen Hintern absichern wollten. Er wurde nicht zum ersten Mal dahin zitiert.
Lächelnd sah Tomasetti ihm in die Augen. »Brauche ich einen Anwalt?«
McNinch grinste gequält, was Tomasetti Böses ahnen ließ. »Diesmal kann dir nicht mal ein Anwalt helfen.«
»Gut zu wissen.«
Sie gingen nebeneinander den Gang entlang, vorbei an den einsehbaren Arbeitsplätzen der hübschen Assistentinnen, deren Finger mit den French-manikürten Nägeln über die Computertastaturen huschten. Er spürte ihre neugierigen Blicke und wusste, dass er gerade Gesprächsstoff für ihren Mittagspausenklatsch lieferte.
Tomasetti mochte es gar nicht, so unvorbereitet zu einem Gespräch beordert zu werden. Seit den Schlächter-Morden vor zehn Monaten hatte er hart an sich gearbeitet. Er verzichtete auf die Pillen, die er sich lange Zeit von unzähligen Ärzten hatte verschreiben lassen, trank weniger und überlegte nicht mehr, sich die Pistole in den Mund zu stecken und abzudrücken. Seine Arbeit am Schlächter-Fall hatte ihm eine Belobigung eingebracht und damit die Wiederherstellung seines guten Rufes eingeleitet, auf den er einmal sehr stolz gewesen war.
Doch nicht nur der erfolgreiche Abschluss des Falles hatte seinen Selbstzerstörungstrip beendet. Ohne Kate hätte er vielleicht nicht überlebt. Sie hatte es allen Widrigkeiten zum Trotz geschafft, zu ihm durchzudringen. Dank ihr hatte er wieder Spaß an der Polizeiarbeit. Am Leben. Und daran, ein Mann zu sein.
Als sie die schmucklose Mahagonitür des Konferenzraums I erreichten, war Tomasetti klar, dass ihn hier kein spontanes Plauderstündchen am Morgen erwartete. Er hatte immer geahnt, dass seine früheren Verfehlungen ihn irgendwann einholen würden. Als Denny dann die Tür aufmachte, war klar, dass der Tag der Abrechnung gekommen war.
Deputy Superintendent Jason Rummel stand am polierten Konferenztisch und blickte auf mehrere Zeitungen hinab, die vor ihm ausgebreitet lagen. Als er Tomasetti sah, lächelte er. »Guten Morgen, John.«
Zu freundlich
, dachte Tomasetti und wusste, dass die Besprechung noch viel schlimmer würde als angenommen. »Morgen.«
Rummel kam um den Tisch herum, und sie schüttelten sich die Hand. Er war klein, schmächtig und hatte eine sehr helle Haut. Sein Schnauzer sah aus wie von Adolf Hitlers Frisör gestutzt. »Schön, dass Sie da sind.«
Tomasetti nahm kaum den schönen Ausblick auf die Innenstadt von Columbus wahr, das in die Ecke geschobene Rednerpult mit dem Staatswappen von Ohio, den Flachbildschirm an der Wand. Ruth Bogart, die Leiterin der Personalabteilung, saß an der gegenüberliegenden Seite des Tisches und wartete darauf, anfangen zu können. Vor ihr lag unverkennbar seine Personalakte, dick und zerfleddert, daneben zwei Stifte, ein Notizblock und mehrere ominöse Formulare. Gekrönt wurde das Ensemble von einem lippenstiftverschmierten Starbucks-Becher.
Bogart trug einen burgunderfarbenen, klassischen Hosenanzug mit einem schmalen Streifen weißer Spitze im Nacken. Sie blickte ihn über ihre Lesebrille hinweg mit dem Lächeln einer Korallenotter an, die gleich zuschnappen würde.
Rummel setzte sich ans Kopfende des Tisches, um zu zeigen, wer hier der Boss war. Hinter ihm machte Denny die Tür mit einem hörbaren
Klick
zu, schloss die Welt draußen aus. Tomasetti fragte sich, ob sie ihn in die Psychomangel nehmen wollten. Wäre die Situation nicht so ernst, hätte er über dieses absurde Szenario gelacht. Er selbst hatte als Polizist bei der Sitte in Cleveland viele Stunden in Vernehmungszimmern verbracht und bei Verhören die Psychoschiene gefahren. Ihm war wirklich nicht danach, jetzt auf der anderen Seite zu sein.
Tomasetti setzte sich Bogart gegenüber. »Sieht aus, als wäre der ganze Trupp versammelt.«
Sie ignorierte seinen Kommentar. Rummel räusperte sich. »Sie sind ein guter Polizist, John. Einer der besten, die wir haben. Wir hatten zwar in den letzten Jahren unsere Differenzen, aber Sie sollen wissen, dass ich den größten Respekt vor Ihrer Arbeit habe.«
Gleich holt er die Axt raus, dachte Tomasetti nur, und spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Einem Honig ums Maul schmieren und dann das Messer zücken und mitten ins Herz stoßen – das war Jason Rummels allseits bekannte Taktik.
Da John kein Spielverderber sein wollte, erwiderte er mit Blick auf das goldgerahmte Foto des Justizministers über Rummels Kopf:
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