Blutige Stille. Thriller
Mann, der die Last der Welt auf seinen Schultern trägt. Aber diese Schultern werden schwächer und brüchiger. »Es gab mal eine Zeit, da dachte ich, ich könnte mit allem klarkommen. Ich gehörte zu den Polizisten, die von einem blutigen Tatort direkt zum Mittagessen gehen konnten, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Ich war unverwundbar. Wurde nie von Dämonen heimgesucht, hab nie zu viel empfunden. Das ist einer der Gründe, warum ich so ein guter Polizist war. Der Job hat mir nie zugesetzt. Ich hab’s nie zugelassen.« Er sieht mich düster an. »Das hat sich in der Nacht geändert, als Nancy und die Mädchen ermordet wurden.«
»Das ist verständlich«, sage ich. »Aber du hast dich damit auseinandergesetzt. Du hast dir helfen lassen.«
»Ja, von einer Menge Ärzten, die mir eine Menge Pillen verschrieben haben, die ich nur allzu gern geschluckt habe.«
»Du bist seither aber schon ein ganzes Stück weitergekommen.«
»Aber offensichtlich nicht weit genug«, bemerkt er trocken.
»Ich weiß nicht, was du damit meinst. Und auch nicht, was das mit dem zu tun hat, was dir gerade passiert ist.«
Tomasetti wischt sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich habe Panikattacken, Kate. Ich war deswegen schon mal in der Notaufnahme.« Er atmet tief durch. »Ich gehe zum Polizeitherapeuten. Das war eine der Bedingungen, um weiter beim BCI beschäftigt zu bleiben.«
Die Worte treffen mich wie Hammerschläge. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich kann mir vorstellen, was er durchgemacht hat, und leide mit ihm. »Wie lange geht das schon so?«, bringe ich schließlich heraus.
»Ein paar Monate.«
»Warum hast du mir nichts gesagt?«
»Das ist nicht gerade ein Thema, das ein Mann mit seiner Freundin besprechen möchte.«
Ich denke einen Moment darüber nach, versuche den Knoten in meinem Bauch zu ignorieren. »Wie ist die Prognose?«
»Ich werde wohl noch eine Weile auf der Couch liegen.«
»Das tut mir leid.«
»Bevor du mich jetzt mit großen Rehaugen ansiehst, solltest du auch den Rest noch hören.«
»Jetzt machst du mich aber wirklich nervös.«
»Nun, ich fürchte, es wird dir nicht gefallen.« Tomasetti verzieht das Gesicht. »Der Deputy Superintendent hat keine Ahnung, dass ich hier bin.«
Damit hatte ich nicht gerechnet. »Wie bitte?«
»Ich bin beurlaubt. Anordnung von oben.«
»Wegen der Panikattacken?«
Er stößt einen Seufzer aus. »Wegen einer uralten Sache.«
»Erzähl’s mir.« Obwohl ich mir Mühe gebe, klingt meine Stimme angespannt.
»Ein paar Wochen, bevor das hier in Painters Mill mit den Schlächtermorden losging, hatte ich einen Drogentest nicht bestanden.«
Ich habe immer noch Mühe, das mit den Panikattacken auf die Reihe zu kriegen, was nicht leicht ist. Aber dass John Tomasetti, einer der stärksten, fähigsten Menschen, die ich kenne, an einer Angststörung leidet, haut mich wirklich um. »Aber dein Job ist nicht gefährdet, oder?«
»Der Deputy Superintendent sagt, wenn der Arzt bestätigt, dass ich wieder okay bin, kann ich zurückkommen und da weitermachen, wo ich aufgehört habe.« Ein Mundwinkel geht nach oben, doch in seinen Augen erkenne ich puren Hohn. »Wahrscheinlich kann ich mich glücklich schätzen, dass sie mich nicht wieder in die Klapsmühle gesteckt haben.«
Ich gehöre zu den wenigen Menschen, die wissen, dass John Tomasetti nach dem Mord an seiner Frau und den Kindern ein paar Wochen in einer psychiatrischen Klinik war.
Er sieht mich ernst an. »In der Nacht, als du mich angerufen hast … als du jemandem durchs Maisfeld gefolgt bist …« Er hält inne, doch ich weiß, was er sagen will. »Da hast du mir einen Mordsschrecken eingejagt.«
»Bist du deshalb hier? Weil du Angst hast, dass mir was passiert?«
»Das ist sicher mit ein Grund.«
Ich versuche, in seinem Gesicht das zu lesen, was er verbergen will. »Du weißt aber, dass mir nichts passiert, ja?«
Sein Lächeln ist maskenhaft und künstlich. »Wir beide sind schon zu lange bei der Polizei, um zu wissen, dass es dafür keine Garantie gibt.«
Bevor ich die Behauptung widerlegen kann, klingelt sein Handy – in der Stille des Hauses klingt das unmäßig laut. Er holt es aus der Gürteltasche, dreht mir den Rücken zu und meldet sich mit einem knappen: »Tomasetti.«
Er zieht ein Notizbuch aus der Tasche und fängt an zu schreiben. »Ich hab alles. Fax die ganze Liste hier ans Revier, ja? Und danke.«
Er steckt das Telefon zurück in die Tasche und wendet sich wieder mir zu.
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