Blutige Tränen (German Edition)
wohl vernommen. Doch er konnte einfach nicht – Jessica war wie eine Schwester für ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, ein Liebesverhältnis mit ihr einzugehen. Er umarmte sie zur Begrüßung mit aller Herzlichkeit, die er als Bruder aufbringen konnte.
Jessica bemerkte seine sanfte Zurückhaltung wie immer. Es tat weh, doch gleichzeitig elektrisierte sie das Gefühl, seinen festen Körper zu spüren, seinen angenehm männlichen Duft einzuatmen.
»Schön, dass du Zeit hattest, Jessy.«
Jessica unterdrückte ein leises Seufzen. »Für dich doch immer. Komm’ mit hoch.«
Julian folgte ihr in ihr Reich . Sie hatte sich im oberen Stockwerk einen ausgefallenen Wohnbereich eingerichtet. Sie hatte zwar einen anderen Geschmack, was Möbel und Farben betraf, doch es passte alles wunderbar zusammen. Julian war immer wieder beeindruckt, wenn er sie besuchte, wie schön sie all diese modernen Sachen in dem alten Gemäuer zusammengestellt hatte. Nur hier und da schimmerten die alten Wände, die alten Fußböden durch ihren modernen Schmuck.
»Möchtest du etwas trinken?«
Julian ließ sich auf einem der unbequem aussehenden dunklen Sessel nieder und schlug die Beine übereinander. »Wenn du einen Rotwein hättest ...«
Jessica grinste ihn an. »Was für eine Frage.«
Sie ging und holte einen Wein und zwei zarte Weinkelche. Beides stellte sie auf einem kleinen Tisch ab und entkorkte die Flasche. Mit zwei gefüllten Gläsern kehrte sie zu Julian zurück. Die rote Flüssigkeit glitzerte, als das Licht darauf fiel.
Julian nahm das Glas dankbar entgegen. »Du bist ein Schatz, Jessy.«
Sie bekam eine Gänsehaut, als er ihren Namen aussprach. Bereits als sie ihn kennengelernt hatte, war es ihr so ergangen. Dabei war er damals noch ein pubertierender Junge und sie wirklich noch ein kleines Mädchen gewesen, das sich sofort unsterblich in Alex verliebt hatte. Aber das war schon einige Zeit her ...
Jetzt war Julian ein erwachsener, ausgesprochen attraktiver Mann – und Jessy begehrte ihn, auch wenn sie wusste, dass er Männer bevorzugte.
»Cheers, Julian.«
Er hob das Glas, um ihr zuzuprosten, und es dann vorsichtig an die Lippen. Der Wein schmeckte fruchtig – und Julian entging das ein wenig boshafte Grinsen auf Jessys Lippen.
8
Alex saß wie versteinert auf dem kalten Fußboden am Rande des Saals. Sein langes schwarzes Haar war zu einem dicken Zopf zurückgenommen. Er fragte sich noch immer, wie er diese Schmach überlebt hatte. Astaran blieb dicht in seiner Nähe; nachdem Alex am Vorabend versucht hatte, Claria umzubringen, als sie die Kleider wieder abholen wollte, war das kaum verwunderlich. Astaran musste ihm ein paar unangenehme Schläge verpassen, ehe Alex von der dicken Frau abließ. Doch Lance war mit Alex’ Leistung recht zufrieden gewesen – er hatte fast gutmütig auf den Ärger des Vampirs reagiert. Nur Astarans fast aufdringliche Nähe musste Alex jetzt ertragen ... und den Hunger, denn sie hatten ihm jegliche Nahrung bisher verweigert.
Ein Bote wurde gemeldet, und Lance unterbrach seine Besprechung mit Raquel.
Der Bote stand in der großen Tür des Saals und traute sich nicht über die Schwelle. Er hatte panische Angst. Alex spürte seine aufkeimende Panik, seine eiskalte Furcht. Er hatte Mitleid mit dem Mann – die Nachricht, die er zu überbringen hatte, war offensichtlich schlecht. Sehr schlecht.
Lance war schon aufgesprungen. »Komm’ rein! Was stehst du da so blöd herum?«
Der Bote zuckte zusammen, aber er trat zögerlich näher. Er war ein hübscher, junger Mann mit großen, misstrauischen Augen und zierlicher Statur.
»Wenn du nicht sofort hier bist«, Lance deutete auf den Platz zu seinen Füßen, »dann bringe ich dich augenblicklich um.« Seine Augen funkelten kalt. »Oder Schlimmeres ...«
Der Bote gab sich einen Ruck und warf sich vor die Füße seines Herrschers. Er hatte entsetzliche Angst. Mit zitternden Händen umschlang er Lances Waden und küsste seine Stiefel.
Alex sah Lances eisigen Blick. Hätte er die Nachricht nicht unbedingt hören wollen, er hätte den Mann sofort, auf der Stelle, umgebracht. Alex fühlte seinen Hass.
»Herr, ich bringe keine guten Nachrichten«, begann der Bote mit zittriger Stimme.
»Nun?« fragte Lance schneidend.
Der Mann war den Tränen nahe, er rechnete mit dem Tod. »Euer Berater und Vertrauter, Dismaldo, er ist zur Gegenseite übergelaufen.«
Nur für einen Augenblick war Lance wie erstarrt, dann stieß er einen wütenden Schrei
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