Blutige Vergeltung
ein Hauch von Höllenbrut, aber nicht viel.
Ich erblickte Beton, eine bröckelige Wand, in deren Ritzen eine unbestimmbare getrocknete Flüssigkeit klebte. Ich hockte im Dunkeln, aber weiter drüben auf einer senkrechten Kante spiegelte sich elektrisches Licht. Es war eine Ecke, aus der einige Zacken herausgebrochen waren.
Wieder fielen mir die Augen zu. Ich war so müde. Mir taten sogar die Zehen weh. Selbst meine Haare schmerzten. Und ich war am Verhungern. Hier und jetzt hätte ich so gut wie alles für ein gut gebratenes Steak gegeben. Und ein schönes kühles Bier.
Jill, wach auf flüsterte meine eigene Stimme eindringlich. Wach verflucht noch mal auf. Direkt vor deiner Nase tut sich etwas!
Die Narbe wurde feucht und heiß. Meine Handgelenke rieben gegeneinander, und der Appetit verging mir, wurde übergangslos abgelöst von einem eisigen Übelkeitsgefühl. Ich hörte, wie Nylon über einen Stützpfeiler scharrte, als der Körper darunter, wie eine tote Frucht, hochgehievt wurde. Hey, mit so einem Seil bist auch du gefesselt! Aufwachen, Jill!
Es war, als hätte jemand einen Eimer voll Eiswasser über mir ausgeschüttet. Ohne einen Laut von mir zu geben, war ich auf einmal wieder voll da, meine Hände nibbelten noch immer gegeneinander, und die Narbe wurde heiß. Sie wühlte sich auf den Knochen zu, und ich überlegte, ob sie sich meiner Kontrolle entziehen und wieder dieses gelbe Feuer ausspucken würde.
Der Gedanke, zu brennen, erfüllte meine Brust mit unruhiger Schadenfreude. Reflexartig bekämpfte ich dieses Gefühl.
Das kann ich mir nicht leisten, egal, wie gut es sich anfühlt. Ich blinzelte mir irgendeine hartnäckige Kruste aus den Augen, dann spürte ich das Kitzeln unter der Haut, als die letzte Schusswunde sich schloss, die silberummantelte Kugel herausgedrückt wurde und mir nicht länger wehtat. Das Mal summte jetzt, und die Saiten der physischen Welt vibrierten zur Antwort wie die einer Violine, die von den Fingern ihres Meisters angestimmt wurde. Es war nur ein winziges Zupfen, das leise vibrierende Musik erklingen ließ.
Gleich würde etwas passieren.
Zu spät. Es ist zu spät!
Die Hoffnungslosigkeit drohte mir das Innere meines Kopfs leer zu fegen. Schwachsinn! Es ist nicht zu spät!, gab ich der jammernden kleinen Stimme Kontra. Du musst diese Fesseln loswerden, Jill. Das ist der erste Schritt. Alles andere wird sich ergeben.
Ich rieb meine Hänge gegeneinander wie Lady Macbeth. Überall schien sich meine Haut zu straffen. Die Dummköpfe hatten mir nicht mal meinen Mantel abgenommen. So hatte das Seil reichlich Spielraum – zumindest genug für das, was ich vorhatte. Sphärenenergie kitzelte das Innere meiner geschwollenen Fingerspitzen, meine Konzentration fiel in sich zusammen wie ein Felsbrocken, der einen Brunnen hinabstürzt, und dann dröselte sich das feste Nylon auf, teilte sich.
Es kostete mich alle Energie, die ich noch aufbringen konnte, um die Gelassenheit aufrechtzuerhalten, die so wichtig ist für jeden Zauber. Faser für Faser riss das Seil auf. Auf der anderen Seite der Wand verging die Zeit in nervösem Schweigen, das nur von Atmen und gelegentlichem Küssen oder Stöhnen durchbrochen wurde.
„Was, wenn sie nicht kommen?“, sagte der Mann besorgt.
„Sie müssen auftauchen“, sagte Irene mit schier verrückter Gewissheit. „Wir haben alle Trümpfe in der Hand, Fax. Entspann dich einfach.“
Eine Sekunde lang fragte ich mich, wie sie Galina entkommen war. Entweder hatte sie die Bewahrerin ausgetrickst – was schwierig ist, aber Galina war in ihrem Innersten ein grundanständiges, vertrauensseliges Mädchen, sonst könnte sie ihren Job wohl auch nicht machen – oder es war Gewalt im Spiel gewesen. Es gab eine verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit, dass sie handgreiflich geworden war und Galina lange genug überwältigt hatte, um zu fliehen, aber Heimtücke schien mir glaubhafter.
Im Innern eines Refugiums war der Wille des Bewahrers, der dort lebte, Gesetz. Irene musste also getrickst haben. Sollte sie Galina verletzt haben, würde die Traderschlampe dafür mit Blut bezahlen.
Und das ist nicht das Einzige, wofür sie zu zahlen hat, Jill. Jetzt raus mit dir aus diesen Stricken.
Ich war kurz unaufmerksam. Kalter Schweiß rann mir den Rücken hinab. Dann riss ich mich wieder zusammen und spürte, wie immer mehr der kleinen Fasern unter der Schneide meines Willens rissen.
„Sie sind spät dran“, jammerte Fairfax.
Wenn es nicht so wichtig gewesen
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