BLUTIGER FANG (German Edition)
Entweder du schmeißt die Viecher raus oder ich pack sie demnächst runter in den Ofen!“
„Was?“
Vater wies mit winkendem Finger auf eine Stelle an der Wand im Flur und zwar genau unter dem Schlüsseldepotkasten.
Er hätte es nicht zeigen müssen, Joel roch es sofort. Eine der Katzen hatte in den Flur gemacht, was ungewöhnlich war, aber Joel wusste um die Gründe. Sie war seit ein paar Tagen erkrankt und hatte Probleme. Deswegen war es kein Wunder, wenn sie nicht wie sonst auf die Katzentoilette ging, sondern sich dort ihren Nöten ergab, wo sie sie gerade überfielen.
Mutter kam mit Eimer, Wischlappen und Putzmittelflasche in gebückter Haltung aus der Küche in den Flur. Wortlos und mit fuchtelnden Bewegungen fing sie an, die Exkremente aufzuwischen.
„Vater, wenn du … du Durchfall hast, dann kackst du im Zweifel auch in die Hose.“
„Waaas? Bist du von Sinnen, so mit mir zu reden?“
Joel fühlte seine Beine weich werden.
Vater kam auf ihn zu, schlug ihn auf die Wange und löste schon den Schlagstock.
„Ludwig, schau doch: Alles wieder sauber, alles wieder gut!“ Mutter legte bei der Reinigung des Bodens noch einen Zahn zu.
„Was ist gut?“, schrie der Vater. „Was ist gut, hä? Halt doch die Schnauze, du! Wieso habe ich dich eigentlich geheiratet und so einen Heini von Sohn gezeugt?“ Vater rülpste.
Neben dem Geruch des Katzenkots stieg Joel der Gestank von Alkohol in die Nase. Ihm wurde übel.
„Aber das ist ja auch kein Wunder!“ schrie der Alte. „Mit dir kriegt man nichts Besseres hin als den da!“ Vater zeigte auf Joel, torkelte durch den Flur zur Treppe und stieg hoch. Die knurrende Stimme wurde allmählich leiser und verstummte schließlich.
Joel hörte oben noch ein paar Schritte, dann die Tür des elterlichen Schlafzimmers, die mit einem klackenden Geräusch zufiel, und endlich war Ruhe.
Himmel, so schlimm war es schon lange nicht mehr gewesen! Wo nahm dieser Mensch eigentlich die Kraft für seine anscheinend nie abreißende Wut her? Joel verharrte noch immer an der Haustür.
Mutter kam zu ihm, den Wischlappen mit dem Katzenkot in der Hand.
Joel hatte feuchte Augen, seine Wangen waren rot, wie er im Spiegel sah, der im Flur neben der Haustür hing. Wortlos verzog er sich in sein Zimmer und ließ Mutter stehen.
In seinem Zimmer suchte er nach den Katzen, die sich wahrscheinlich unters Bett verkrochen hatten, was bei dem Lärm und der Stimmung ja auch kein Wunder war. Die kranke Katze hatte schon wieder uriniert, was entsetzlich stank.
Joel riss das Fenster auf, ging hinaus, holte Putzzeug, machte das Nötigste sauber, und setzte sich schließlich an seinen Schreibtisch. Dort lagen eine Reihe von Tierbüchern sowie eine neue DVD von der BBC, die Raubtiere in Afrika zeigte. Er entdeckte einen Brief des Tierschutzvereins Gehrsdorf und öffnete ihn. Er wusste, dass es nur die Aufforderung gewesen sein konnte, die fällige Mitgliedsgebühr zu bezahlen. Der Grund, warum er damit in letzter Zeit nachlässiger geworden war, hing an der Wand. Joel hatte sich vor Kurzem eine gebrauchte Armbrust gekauft, ein Buckmaster-Modell. Neben der Armbrust hing ein Gurt mit einem Köcher, der mit Pfeilen gefüllt war.
Joel wandte sich um und blickte im Zimmer umher. Zunächst schaute er hinüber zu dem Regal über dem Bett. Dort türmten sich Bücher und Fachzeitschriften sowie ein Stapel Exemplare der Zeitschrift Tierfreund, die er als Kind schon gelesen hatte. An der Wand neben seinem Bett vergammelten aufgeschraubte Gerätschaften, Radiogeräte, zwei fernsteuerbare Modellflugzeuge und ein alter PC-Tower. Auch allerlei Werkzeug lag herum. Daneben stapelten sich Handbücher, Schaltpläne und Blätter mit Zeichnungen, die er selbst angefertigt hatte. Sein noch getrübter Blick fiel auf die Kurzhanteln, und er musste lächeln. Wie mühte er sich ab, ein paar Muskeln auf die Arme zu bekommen. Dann hätte er sich Bronco oder Vater endlich entgegenstellen und außer Tony vom Tierpark noch ein paar weitere Freunde finden können.
Joel stand auf und stellte sich vor die Spiegeltür des Schranks. Er war klein. Gerade 1 Meter 68, und damit nicht größer als Mutter, von der er zweifellos die schwächliche Konstitution geerbt hatte. Von den Genen seines Vaters hingegen schien er nichts abbekommen zu haben.
Vater! Der war mit 1 Meter 85 ein Mann, stark und kräftig. Als die Wirtschaft in Gehrsdorf noch blühte, hatte er als Arbeiter auch entsprechend zugelangt.
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