BLUTIGER FANG (German Edition)
Nachdem er entlassen worden war, teilte er das Schicksal so vieler: Arbeitslosigkeit, Zahlungsschwierigkeiten (zum Glück war das Hauseigentum ererbt), Alkohol und ein als sinnlos empfundenes Leben. Wenigstens hielt er die Alkoholsucht so weit im Griff, dass er in dem neuen Job bestand, den er bei der Hannoverschen Sicherheitsgesellschaft nach einer Umschulung bekommen hatte. Er hatte bei der Industrie- und Handelskammer eine Sachkundeprüfung abgelegt und sogar die Zuverlässigkeitsprüfung überstanden, die als Voraussetzung gilt, um im Bewachungsgewerbe arbeiten zu dürfen. Seit gut zwei Jahren bewachte er im Auftrag der Gesellschaft mit Kollegen das Kaufhaus am Stadtpark. So war er wenigstens die Nächte über weg.
Joel zog sich bis auf die Unterhose aus und legte sich aufs Bett. Er platzierte seine Brille auf dem Nachttisch und begutachtete seinen Körper, den er jetzt nur noch verschwommen wahrnahm. Hängende Schultern, dünne Ärmchen, schwache Beine, in denen trotz des Trainings kaum Kraft auszubilden war. War er vielleicht doch krank?
Joel befühlte seinen Handrücken, der an der Stelle inzwischen rot geworden war, wo die Flamme die Haut berührt hatte. Wut und Scham überkamen ihn. Er würde sich auf Tage hinaus bei niemandem mehr blicken lassen und erst recht nicht in den Club gehen können. Gott, es war alles so peinlich.
Lange noch lag er wach.
Irgendwann hob er die Bodenplatte der Nachttischlampe ein wenig an und zog ein Foto hervor. Es zeigte Linda. Das Bild war zu einer Zeit aufgenommen worden, als sie noch gemeinsam in die Schule gegangen waren. Allzu lange war das nicht her – und doch war es so weit weg. Joel hatte das Foto bei Facebook kopiert und es dann auf Papier ausgedruckt. Er betrachtete das Bild eine Weile, träumte vor sich hin und legte es an seinen Platz zurück.
Dann löschte er das Licht.
Kurz bevor er einschlief, fühlte er, wie sich eine Träne löste und langsam die Wange hinabrollte. Er strich sie mit dem wunden Handrücken ab und dachte an den Tag heute. In Zukunft würde sich etwas ändern müssen, so würde es nicht mehr weitergehen können.
Joel dachte darüber nach, was er tun könnte, wobei er fast unablässig auf seiner Unterlippe herumkaute, wie ihm immer wieder bewusst wurde. Im Stillen hoffte er, dass seine Zeit noch kommen würde – sie würde es, sie musste es einfach. Er würde es ihnen schon noch zeigen.
Anstatt in den Schlaf zu fallen, stieg er so richtig ein ins Gedankenkarussell. Und ihm war, als schimmerte am Horizont eine Idee, die alles verändern würde. Er erhob sich, machte Licht und spielte in Gedanken alles durch. Immer mehr konkretisierte sich in seinem Hirn ein Plan, dessen Umsetzung alles verändern würde. Und zwar zum Besseren.
Ja! Das wird gelingen!
Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt.
6
Der junge Mann lehnte an die Bretterwand der kleinen Arena und blickte nervös auf die Uhr. Dann gaffte er auf den sandigen Boden, in der gerade eine Ratte um ihr Leben lief. Mit halb zugekniffenen Augen beobachtete er, wie sein Hund, ein schneeweißer Bullterrier, bereits hinter ihr war und zupackte. Doch das klitschnasse Tier rutschte dem Hund aus dem Maul, dessen Geifer das Fell der Ratte bereits durchnässt hatte. Nach ein paar Sätzen war der Hund wieder über ihr und schnappte abermals zu. Er hatte plötzlich den Kopf der Ratte im Fang und schloss die starken Kiefer. Die Ratte fiepte noch einmal und starb.
Der Bullterrier ließ sie fallen und rannte in einem Höllentempo einer anderen Ratte nach, die gegen die hellbraune Holzwand sprang und versuchte, hoch zu kommen, bevor der Hund bei ihr war. Doch der Terrier packte auch diesen Nager, biss zu und ließ das tote Tier aus dem Maul fallen.
„Sieben Sekunden!“, schrie ein Mann, der auf einem Hochsitz über der Ansammlung von Leuten thronte, die in dem abgedunkelten Raum um die Arena herumstanden. Ein paar Scheinwerfer versetzten den Sandboden in ein grelles Licht.
Der junge Mann war zufrieden. Noch lag sein Hund in der Zeit. Das anfeuernde Geschrei der Anwesenden wurde umso lauter, je mehr sich der Sand mit Blut tränkte.
Der Bullterrier rannte der nächsten Ratte nach. Es war alles voll mit Ratten und für einen Moment schien der Hund nicht recht zu wissen, welcher er nun hinterherhetzen sollte. Da stierte er kurz an eine Stelle und rannte los.
Dort türmten sich mehrere Ratten, die eine lebende Leiter bildeten, um über den Holzverschlag aus der Arena zu kommen. Es war
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