BLUTIGER FANG (German Edition)
Handy angerufen hat?“
„Ja, er war es.“
„Und wo ist sein Handy jetzt?“
„Ich habe es bei mir“, sagte Bronco. Verstohlen klopfte er auf die linke Brusttasche seiner Jacke.
„Hm, dann kann er also nicht mehr anrufen“, sagte Joel.
Bronco schwieg.
Sie kamen der Rolltreppe immer näher.
„Warum hast du es ihm abgenommen?“
„Wozu braucht ein Toter ein Handy? Und außerdem dachte ich, es sei besser, wenn ich es habe.“
„Warum?“
Bronco antwortete nicht.
Sie kamen bei den Rolltreppen an, gingen um sie herum, sodass sie am Aufgang standen und hinaufsehen konnten. Wie eine Jakobsleiter, die in einen schwarzen Himmel reichte, zog sich die Treppe nach oben.
Joel lauschte.
Es war totenstill und von den Löwen nichts zu sehen.
„Was meinst du, was die jetzt machen?“, sagte Bronco in einem gedämpften Ton.
Joel sah ihn an. „Keine Ahnung. Ich vermute, die sind irgendwo …“ Auch er flüsterte.
„Gehen die nicht mal auf die Jagd?“, fragte Bronco.
Joel lächelte über die Naivität der Frage. „Wenn Löwen, die in Gefangenschaft gelebt haben, ausbrechen, gehen die nicht auf die Jagd. Die verstecken sich. Das war’s.“
„Und du bist sicher, dass sie uns nicht nachstellen werden?“
„Wenn wir ihnen nicht in die Quere kommen und sie uns ausweichen können: Ja.“
„Und wenn nicht?“
„Du hast selbst gesehen, was dann passiert.“
„Also gut, geh jetzt hoch und such das Handy. Ich bleibe hier und halte Wache.“
Joel schluckte.
Bronco zog die Pistole aus dem Gürtel und richtete sie auf ihn.
Ob Joel sich mehr davor oder vor den Löwen fürchtete, konnte er nicht recht unterscheiden. Zögernd stieg er ein paar Stufen hoch, bückte sich und suchte wie ein Geigerzähler, indem er seine Hände dicht über die einzelnen Stufen gleiten ließ.
Bronco blickte über Joel hinweg nach oben und dachte nach. Seine Sorge galt der Schmuckabteilung. Er vermutete, dass die Löwen dort irgendwo waren. Das Problem war also, dass wohl nichts daraus werden würde, sie einfach in Ruhe zu lassen. Es deutete alles darauf hin, dass er die Tiere von dort weglocken musste, wenn er an den Schmuck kommen wollte. Doch wie sollte das funktionieren? Wie könnte er das schaffen?
Zufriedener war er im Hinblick auf Kramer. Der hatte sich nicht befreien und irgendwas Dummes anstellen können. Er hatte also keinen Druck und genügend Zeit, eine neue Strategie zu finden. In Bronco rumorte es. Er dachte voraus und spielte allerlei Varianten durch. Auch drängten die schrecklichen Bilder wieder nach vorn, die er im Geiste sah: Kramer und die Löwen – auf engstem Raum beieinander. Würde er ihm helfen, wenn jetzt eins der Biester die Treppe herunterkam? Bronco schob den Mund nach rechts und biss sich auf die Lippen. Viel würde wohl davon abhängen, wie Kramer die Sache mit Frank sah. Wäre er bereit, die Leiche irgendwo zu verscharren? Oder würde ihm das aufstoßen?
Für diesen Fall dachte Bronco daran, dass es ja schon ein paar Tote gäbe. Kam es da auf einen mehr oder weniger wirklich an? Es war alles eine Frage der Interpretation. Denn wonach würde es aussehen? Ein toter Löwe, zwei lebende, zwei tote Wächter, ein weiterer Toter, der ebenfalls unrechtmäßig hier eingedrungen war, überall Blut und ein einziges Chaos. Und dann eine Leiche mehr: Wer würde angesichts des Durcheinanders groß nachfragen, wer wann wie wen umgebracht hatte?
Bronco registrierte, dass das Chaos, in das sie geschlittert waren, auch seine Vorteile hatte, denn diese Provinzbullen wären schnell überfordert. Die Frage lautete also nur noch, wie genau er dieses Durcheinander für sich nutzen könnte.
„Ich hab’s“, flüsterte Kramer von oben her und holte ihn aus seinen Gedanken.
Kramer richtete sich auf und winkte mit dem Handy.
„Bring’s her.“
Bronco riss ihm das Telefon aus der Hand, kaum dass Kramer bei ihm war. „Das hätten wir“, sagte er und schaltete es ab. Grinsend sah er Joel an. „Ab zu Linda!“
Bronco wandte sich um und huschte davon.
Im Weglaufen blickte er zurück und sah, dass Kramer ihm wie ein lahmender Hund folgte.
28
Linda probierte Schlüssel um Schlüssel durch, wechselte ungeduldig auf die Chipkarten über, weil sie der Meinung war, die seien doch zuerst dran und ging hiernach wieder auf Schlüsselprobe aus. Dabei blickte sie von Zeit zu Zeit in Richtung der Rolltreppen.
Weitere Kostenlose Bücher