BLUTIGER FANG (German Edition)
für den Lichtkasten noch das Handy herausrücken. Und er würde auch nicht zulassen, dass Joel einen Arzt riefe.
Und noch ein Gedanke fuhr wie ein Stromschlag durch ihn hindurch: Bronco war bewaffnet. Der ihm ohnehin schon körperlich Überlegene war auch noch bewaffnet und konnte ihn einfach umnieten, gleich wenn er aus dem Restaurant trat. Er könnte später ja ohne Widerstände behaupten, dass nicht er, sondern einer der Wachleute Kramer getötet hätte bei dem Versuch, ihn, den Einbrecher, zu stellen. Linda würde dabei ganz bestimmt auf Broncos Linie gehen, da war Joel sich sicher.
Er spähte in die Kaufabteilung hinaus und überlegte weiter, wobei er mit den Fingernägeln unablässig seine spröden Lippen bearbeitete. Es war klar, sie würden nicht viel Zeit haben. Er wusste auch, das Risiko für Frank war hoch, wenn er ihn ungedeckt im Restaurant sitzen ließe. Doch was sollte er machen? Selbst der Weg zur Bar war für ihn schon zu weit. Er würde also wohl oder übel dort bleiben müssen, bis er zurück war, Licht angemacht und ihn mit einer der Kanonen Broncos vor den Löwen beschützt hätte, bis die Bullen und ein Arzt hier wären.
Joel blickte Linda an, die nach wie vor unbewegt an ihrem Platz ausharrte. Er spürte, dass sie mit zwei Sorgen beschäftigt war, die wohl um die Herrschaft in ihr kämpften. Die eine bezog sich auf Bronco, der sie so sehr befremdet haben musste durch sein Verhalten – die andere sah er ihr förmlich an: Es galt der Angst und der Gefahr durch die Löwen. Theoretisch hätten sie schon wieder hier im Restaurant sein können, man hätte sie kaum gesehen.
Joel deutete Linda an, aufzustehen.
„Ich will nicht, vielleicht sind sie schon hier.“ Ihre Stimme war kaum hörbar.
„Sind sie nicht, sonst lägen wir längst flach.“ Joel erschrak über die Kühle und Undiplomatie seiner Feststellung. Mit Linda war nicht mehr zu rechnen. Sie hatte definitiv einen Schock erlitten. Nach allem, was sie gesehen hatte, hatte Broncos Verhalten das Fass wohl zum Überlaufen gebracht.
Joel ergriff Linda bei den Schultern und versuchte, sie hochzuziehen. Sie wehrte sich und begann zu kreischen. „Nein, lass mich, ich will nicht … ich will nicht raus!“
„Wieso raus? Ich möchte dich bloß hinter der Bar verstecken. Dort bist du in jedem Fall sicherer als hier, bis ich zurück bin.“
„Was? Wo … wo willst du hin? Lässt du mich jetzt auch allein?“
Joel antwortete nicht. Stattdessen zog er sie hoch und führte sie an den Armen haltend zur Bar. Er fühlte den kalten Schweiß auf der weichen Haut ihrer Oberarme und merkte, wie sie zitterte. Sie ließ sich abführen wie eine Gefangene.
Dann traten sie an die Flügeltüren der Bar heran, die in etwa hüfthoch waren.
Joel öffnete sie und schob Linda hinter die Bar, wo sie sich in die Ecke setzte und wie ein Rehkitz verharrte. Sie kauerte in sich zusammengezogen, drückte ihre Knie gegen die Brust, umschränkte die Arme um die Knie, machte sich ganz klein und war kaum noch zu sehen.
Joel schloss die Flügeltüren und verriegelte sie.
„Bleib hier, Linda und mach keinen Mucks, hörst du? Was immer auch passiert: Du bleibst einfach hier sitzen und rührst dich nicht.“ Joel hatte sich bemüht, so leise wie möglich zu sprechen.
Linda schwieg. Die stille Panik, die sie ergriffen haben musste, seit sie verstanden hatte, dass auch Joel gehen würde, schloss sie offenbar komplett in sich ein.
„Ich geh jetzt und hole was wir brauchen. Und dann bringe ich dich in Sicherheit! Bin gleich zurück.“
Sie reagierte nicht und saß noch jämmerlicher da.
Bevor er wegging, blickte Joel zufällig in die Spiegelwand, die hinter der Bar angebracht war und bis zur Decke reichte, wo sie sich so weit nach vorn zog, dass, wer auf den Hockern darunter saß und hochblickte, sich selbst auch von oben sehen konnte.
„Linda“, sagte Joel sehr leise, „schau mal nach oben. Du kannst sehen, was hier vor sich geht, ohne dich rühren zu müssen. Denk dran, mach keinen Mucks, wenn sie zurückkommen. Ich hoffe, ich kann alles regeln, bevor sie das tun.“ Joel hoffte, dass sie ihm zugehört hatte und sich an seinen Rat halten würde.
Linda hob vorsichtig ihren Kopf und starrte nach oben. Tatsächlich hatte sie einen guten Blick, auch wenn die Sicht wegen der Dunkelheit nicht sonderlich war. Sie sah Frank als Schemen, der gerade einen Arm bewegte, die Leichen, die wie schwarze Säcke in der Dunkelheit herumlagen,
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