BLUTIGER FANG (German Edition)
und riss sie zugleich herunter.
Mit einem synchronen Krack war es schlagartig wieder Nacht im Restaurant. Über die eigene Aktion erschrocken schlug Bronco den Deckel des Kastens zu und rannte in die Kaufabteilung hinaus Richtung Weiße Ware.
„Bronco? Bronco! Was soll das? Willst du uns umbringen?“, hörte er im Weglaufen Kramer schreien.
Er rannte weiter und weiter zwischen Kühlschränken, Waschmaschinen und Spülmaschinen hindurch. Wiederholt stieß er wogegen, tat sich weh und hielt inne. Mehr als die Schmerzen des Anstoßens jedoch brannten Fragen in ihm: Was sollte das? Was machte er denn da?
Dass Bronco schon weg war, als er ihm hinterherrief, konnte Joel nur ahnen, denn es war viel zu dunkel. Er riss sich hoch, rannte Richtung Ausgang und befingerte blind wie ein Maulwurf den Lichtkasten. „Dieses verdammte Schwein!“ Er eilte zurück. „Linda, wir müssen sofort raus hier – die Löwen können jeden Moment hier sein.“
Linda sah ihn an.
Er erkannte kaum ihre weit aufgerissenen Augen, die in der Dunkelheit die seinen suchten. Sie schien verwirrt, verzweifelt und voller Angst. Sicher konnte sie genauso wenig wie er Broncos Verhalten einordnen. Die Erwägungen um die Löwen, die Toten, das Chaos, die gedrückte Stimmung, die Übelkeit – all das vermengte sich in ihrem Hirn wahrscheinlich zu einer Überlastung, die sie in den Bann völliger Lähmung drückte und klares Denken unmöglich machte. Ein Schock?
„Was … was … hat das zu bedeuten? Wo ist Bronco? Warum … lässt er … uns hier?“ Ihre Stimme rasselte.
„Komm jetzt“, sagte Joel, „du musst hier raus!“
Sie schien etwas aufzuwachen und zurückzukommen. „Raus, was? Wieso raus? Was … wo raus? Draußen sind Löwen, ich geh nicht raus.“ Dann tauchte sie wieder ab.
„Fass mit an, wir bringen Frank weg“, sagte er, um irgendetwas zu sagen. Joel hatte kaum eine Idee, was sie auf die Schnelle sonst tun sollten.
„Wohin denn? Willst du etwa den Löwen entgegengehen?“ Ihre Stimme zitterte noch stärker. Joel hörte ihre Zähne klappern.
Da war was dran. Wohin sollten sie Frank verfrachten? Bronco hatte alle Schlüssel und Chipkarten, mit denen sie schnell weggekommen wären. Es war ja alles abgeschlossen und für einen Ausbruch war weder die Zeit, noch wäre es sicher genug gewesen, denn niemand wusste, wo die Löwen waren.
Joel spähte zum Toilettenausgang hinüber, über dem ein Leuchtsignal ein spärliches Licht abgab. Schnell stand er auf und hetzte hinüber. Frank und Linda könnten sich ja einschließen und wären erst mal vor den Löwen sicher. Alles Weitere würde er dann sehen.
„Das war ja klar“, sagte Joel, während er mit beiden Händen am Türknauf rüttelte. Sie war verschlossen. Dann rannte er Richtung Glastürenfront und stolperte über etwas. Joel schlug mit dem Gesicht am Boden auf und spürte einen dumpfen Schmerz in der Wange. Seine Brille fiel ihm von der Nase. Mit hektischen Bewegungen suchte er sie, wobei seine Hände wie Putzlappen auf dem schmierigen Boden herumfuhren. Plötzlich hatte er die Brille in den Fingern. Er setzte sie auf, musste sie aber gleich wieder abnehmen, weil sie verschmutzt war. Angeekelt putzte er sie am T-Shirt ab, richtete sich fluchend auf und stierte Löcher in die Dunkelheit. Jetzt sah er, dass er über die fette Leiche gestolpert war, die beim Bufett lag.
Joel ging deutlich vorsichtiger weiter und prüfte, ob er sich verletzt hatte, was jedoch nicht der Fall war.
Auch die Glastüren waren zu. Er nahm einen der herumliegenden Stühle und schlug damit gegen die Glasfront. Die blieb völlig unversehrt. Unter Garantie bruchfest. Verdammt!
Joel drehte sich um und erblickte den Notausgang. Ein Kneifen fuhr durch seinen Bauch, denn die Lektüre der Handbücher hatte ihm offenbart, dass die so genannte elektrisch gesteuerte Paniktüranlage eine Zeitsteuerung besaß, die dafür sorgte, dass sämtliche Notausgangstüren während der Nachtstunden aus Gründen der Einbruchssicherheit verriegelt waren. Die Passage, wo er das gelesen hatte – wohl irgendein Gesetzestext – war ihm sogar noch als Zitat geläufig:
Manche örtlichen Bestimmungen und Sonderbauverordnungen gestatten außerhalb der Betriebszeiten Ausnahmen, wenn sichergestellt ist, dass sich in einem Gebäude keine Personen mehr aufhalten. Aus Gründen der Einbruchsicherheit dürfen dann selbst die Fluchttüren verschlossen werden. Immer unter der Voraussetzung, dass die Verriegelung
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