Blutiger Freitag
erzählen mir die Ärzte jedenfalls ständig.“ Er klang fast, als würde er nicht daran glauben.
Maggie musste sich ermahnen, dass sie der Zustand seiner Frau gar nichts anging. Trotzdem bewunderte sie Henrys offensichtliche Fürsorge.
In der kurzen Zeit nach dem Anruf hatte sie so einiges über Henry Lee in Erfahrung gebracht. David Ceimo war mit seinen Beziehungen als Stabschef des Gouverneurs in der Lage gewesen, den anonymen Anruf von Maggies Handy zurückzuverfolgen. Das Telefon, von dem aus der Mann mit ihr gesprochen hatte, wurde als ein Anschluss der ICC im Warteraum des St. Mary’s Hospital geortet.
Während ihres kurzen Gesprächs hatte der Mann eine Bemerkung über die Operation seiner Frau fallen lassen. An dem Tag nach Thanksgiving wurde normalerweise nicht operiert. Maggie hatte herausfinden können, dass es lediglich zwei Notoperationen gab. Ein Blinddarm, der andere ein Tripel-Bypass. Eine weitere kurze Nachfrage bei der ICC – die allerdings ein wenig Finesse erforderte –, und Maggie hatte die Namen der Patienten. Danach war klar, um wen es sich bei dem anonymen Anrufer handelte. David Ceimo kümmerte sich darum, dass sie eine Autorisierung für das Betreten der Krankenhausräume im Sicherheitsbereich erhielt. Maggie recherchierte währenddessen mit ihrem Smartphone im Internet, um so viel Informationsmaterial wie möglich über Henry Lee zu sammeln.
Es stellte sich heraus, dass Henry einen besonderen Ruf als gewiefter Geschäftsmann besaß. Er hatte mehrere Firmen aufgekauft und zu erfolgreichen Unternehmen aufgebaut. Sie wurden allesamt in der Liste der sogenannten „Fortune 500“, also der fünfhundert erfolgreichsten Unternehmen der USA, geführt. Inzwischen pensioniert, war Henry Lee aber immer noch Vorstandsvorsitzender seines Firmenimperiums. Seinen Einfluss nutzte er, um sich für Belange des Heimatschutzes stark zu machen. Er war bei Weitem nicht der Verrückte, den sie zuerst in ihm vermutet hatte.
„Ich werde Ihnen nur sagen, was ich weiß, wenn man mir Straffreiheit zusichert“, erklärte Henry Lee, als hätte er diesen Satz auswendig gelernt. Seine Stimme klang leer und emotionslos – von der anfänglichen Aufregung war nichts mehr zu spüren.
Maggie runzelte die Stirn. „Ich habe keine Befugnis, Ihnen ein derartiges Versprechen zu geben.“
In der Vergangenheit hatte A. D. Cunningham ihr immer Rückendeckung gegeben, wenn sie eigenständig irgendwelche Deals ausgehandelt hatte. Er war davon ausgegangen, dass sie für die Lösung des Falls wichtig waren. Bei Kunze konnte sie sich dagegen sicher sein, dass er nicht darauf eingehen würde.
„Ich kann Ihnen nur garantieren, dass ich die Polizeibehörden von Ihrer Kooperation unterrichte“, sagte sie, „aber mehr darf ich Ihnen nicht versprechen.“
Henry musterte sie müde mit seinen wässrigen blauen Augen. Offensichtlich wägte er seine Möglichkeiten ab. Sie schwieg, während er den Blick senkte, auf seine ineinander verschlungenen Hände starrte und dann wieder zu ihr hochsah.
„Sie haben meinen Enkelsohn“, sagte er und räusperte sich. Doch er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte. „Werden Sie zumindest versuchen, ihn zu retten?“
„Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn zurückzubringen. “
Dann lehnte sich Maggie vor und wartete. Sie wollte Henry nicht mit Fragen bombardieren. Das Risiko war zu groß, dass er sich daraufhin verschloss und nicht alles sagte, was er wusste.
„Ich bin ein Patriot“, eröffnete er seine Rede.
Maggie bemühte sich, ihre Überraschung nicht zu zeigen. Bei einem der Unternehmen, die Henry Lee gehörten, handelte es sich um einen Sicherheitsdienst. Aufgrund ihrer kurzen Recherchen hatte sie erwartet, vielleicht von Pannen im Sicherheitsnetz oder womöglich Schluderei im Informationssystem zu hören.
Aber auf eine derartige Beichte war sie nicht gefasst gewesen.
53. KAPITEL
Nick stand neben Jerry Yarden, der lang und breit erklärte, was der Sicherheitsdienst unternommen hatte, um Anschläge zu verhindern. Die Chapmans nickten nur leicht mit zusammengepressten Lippen und zuckten nicht mit der Wimper. Nick war erleichtert, als sein Handy klingelte.
„Entschuldigung, ich muss den Anruf entgegennehmen“, sagte er schnell. Gleich darauf machte er sich ans andere Ende des Flurs davon, ohne vorher die Nummer auf dem Display zu überprüfen. „Nick Morrelli“, meldete er sich in geschäftsmäßigem Tonfall. Ein kleiner Tribut an die sich noch
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