Blutiger Frühling
Wollenzeug mit«, fügte sie hinzu, während sie sich wieder zum Gehen wandte. »Es liegt ganz zuoberst, ein weiches, hellblaues, aus dem du deinem Kind eine warme Jacke machen könntest. Annemarie würde sicher allerliebst darin aussehen ...«
Katharina hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Vergelt’s dir Gott«, sagte sie zum Abschied, »und Glück auf den Weg, Annelies.«
Weit vor Tagesanbruch war Anna Elisabeth am folgenden Morgen aufgebrochen. Sachte und ohne ein Geräusch, um die Kleinen nicht zu wecken, hatte sie das Haus verlassen und den Weg genommen, der aus dem Dorf hinausführte. Abgesehen von einem Leinentuch, in das ein Stück Speck, ein Brot und ein Messer eingebunden waren, hatte sie nichts bei sich gehabt als das, was sie auf dem Leibe trug – ein neues weißes Leinenhemd, ein schwarzes Schnürmieder aus selbst gemachtem Filz, einen Rock aus derbem grauem Wollzeug und darüber ihren blauen Wettermantel. Wollene Strümpfe und die frisch besohlten ledernen Festtagsschuhe hatten ihre Reisetracht vervollständigt.
Es war ein wunderliches Gefühl gewesen, wegzugehen – so, als sei es ein Abschied für immer. Anna Elisabeth war am Ausgang des Dorfes kurz stehen geblieben und hatte zurückgeblickt auf die vertraute kleine Ansammlung von Häuschen und Katen, von Stallungen und Geflechtzäunen, die ihre Heimat ausmachten. Besonders ihr Vaterhaus und die Mühle, derenWasserrad nun schon seit Wochen stillstand, hatten ihren Blick gefangen gehalten, so dass sie sich mit Gewalt von dem Bild hatte lösen müssen.
Tief durchatmend war sie schließlich weitergegangen und hatte die Biegung des Weges umrundet, von wo aus man das Dorf nicht mehr sehen konnte. Wütend hatte sie die Tränen zurückgekämpft, die nun doch gekommen waren, und war weit ausgeschritten. Die erste Rast hatte sie erst gegen Mittag gemacht, fern von ihrem Heimatdorf und weit ab von jeder bekannten Gegend.
Das alles lag nun schon zwei Tage zurück. Der Himmel hatte es gut mit ihr gemeint und keinen Regen geschickt, wie die kleine Gertrud es doch so klug vorausgesagt hatte. Auf trockener Straße, unbehelligt und ungefährdet, war sie schnell vorangekommen. Einmal hatte sie sogar ein uralter Mann, der mit seinem Ochsenkarren zum Markt unterwegs war, ein Stück weit mitgenommen. Seine drei Söhne seien auch beim Hellen Haufen, hatte er ihr erzählt, und er hätte wohl selber gerne den Feldzug gegen die Raubgrafen und Erzhalunken von Pfaffen mitgemacht, wenn nur die alten Knochen es noch gestattet hätten. Ja, jetzt endlich gehe es den Menschenschindern an den Kragen. Und überhaupt gehörten alle die adligen Schurken gevierteilt ...
Anna Elisabeth hatte ihr Ziel beinahe erreicht. Die Vorburg von Weißenstein war bereits in Sicht gekommen. Nur noch wenige Schritte, dann würde sie Albrechts Burg betreten.
Aus dem schmalen Fensterchen der Wachstube am Torturm schaute ein eisgrauer Kopf hervor. »Wer da?«, fragte eine brummige Altmännerstimme.
Anna Elisabeth knickste erschrocken. Sie hatte sich überhaupt nicht überlegt, was sie als Grund ihres Erscheinens vorbringen sollte. Außer dem Herrn dieser Burg kannte sie ja niemanden auf Weißenstein.
Doch – es gab noch jemanden. »Ich möchte den Christoph besuchen«, sagte sie und legte einen kecken Ton in ihre Stimme. »Würdet Ihr mich wohl hineinlassen, damit ich ihn sprechen kann?«
»Soso, den Christoph?« Der alte Weißbart unterdrückte ein Lächeln. »Da wird er aber erfreut sein. He, Herr Christoph ... hier wünscht Euch eine recht propere junge Frau zu sehen!«
Die letzten Worte hatte er, rückwärts gewandt, ins Dunkel der Wachstube hineingerufen. Augenblicke später lugte Albrechts junger Bruder aus dem zweiten kleinen Fenster heraus. Als er Anna Elisabeths gewahr wurde, zog er in höchster Überraschung beide Augenbrauen hoch. »Ihr?«, fragte er konsterniert. »Wie kommt Ihr denn hierher?«
»Auf Schusters Rappen«, erwiderte Anna Elisabeth im muntersten Ton, den sie bei ihrer Aufregung zustande brachte, und knickste noch einmal.
»Aber ... was wollt Ihr denn?« Christoph schluckte schwer; Anna Elisabeth erkannte es an seinem auf- und abhüpfenden Adamsapfel.
»Ein paar Worte mit Euch wechseln«, erklärte Anna Elisabeth.
»Mit mir?« Christoph blickte verständnislos.
»Ja, mit Euch, Christoph.« Anna Elisabeth nickte zur Bekräftigung ihrer Worte. »Es geht um die Botschaft, die ich vor einigen Tagen bekommen habe.«
»Aber ich weiß nichts von dem, was mein
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