Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutiger Frühling

Titel: Blutiger Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara von Bellingen
Vom Netzwerk:
sich in die Brust. »Willst du’s nun hören oder nicht?«, riss er das Wort wieder an sich.
    Anna Elisabeth nickte ergeben.
    »Also«, setzte Michel seinen Bericht fort, »der Mann ließ mich ausreden und sagte dann: ›Hier ist das, was ich zu übergeben habe, junger Herr‹ – damit meinte er mich – ›seid so gut und reicht es der Jungfer Anna Elisabeth, wenn sie wieder vom Feld kommt, denn wir müssen weiter.‹ Und dann gab er mir dieses hier ...«
    Er kramte in seinem Hosensack, förderte ein schmales Päckchen zutage, hielt es Anna Elisabeth hin. Sie nahm es entgegen. Es war ein eng zusammengerolltes Stück Papier – aus grauen Hadern wie das, aus dem Albrecht die Fibel für sie hergestellt hatte. Ihr Herz begann zu hämmern. Sie spürte, wie sie blass wurde.
    »Freut dich das nicht?«, fragte der Michel, der das sofort bemerkt hatte.
    »Doch. Jetzt geh an deine Arbeit.« Anna Elisabeth war kaum noch in der Lage, ihre Aufregung zu beherrschen. »Danke, dass du es für mich angenommen hast.«
    Michel war enttäuscht über Anna Elisabeths mangelnde Begeisterung. Er ging mit hängenden Schultern.
    »Du darfst dir später zum Essen ein zweites Stück Speck abschneiden«, rief Anna Elisabeth ihm nach. Das tröstete ihn einigermaßen, denn seine Schultern hoben sich wieder, als er hinausschlüpfte. Doch Anna Elisabeth sah es nur aus den Augenwinkeln, denn sie hatte das Papier bereits entrollt und angefangen, die dicht gedrängten Zeilen zu entziffern, die darauf geschrieben standen:
     
    Liebste, süßeste Anna,
    die Zeitläufte erfordern, dass ich mit einem Standesgenossen einen Ritt unternehme, der mich auf einige Tage von daheim wegführen wird. Doch fürchte nichts, wenn ich, solange diese Fahrt dauert, keine weitere Nachricht sende. Mein Unterfangen ist zu unserem Besten und dient einem vorteilhaften Ende.
    Sei gewiss, ich melde mich als Erstes bei dir zurück, liebes Herz – sobald ich daheim anlange.
    Bis dahin küsst und umarmt dich viel tausendmal
    auf ewig der Deine
    Albrecht
     
    »Sag, Annelies – darf ich von dem Brei schon ein bisschen an die Kinder austeilen?«
    Anna Elisabeth fuhr zusammen und blickte von Albrechts Zeilen auf. Gertrud hatte ihr die Frage gestellt. Außerdem war es beinahe dunkel im Zimmer, und der Michel stand unschlüssig bei der Herdstelle, einen noch jungfräulichen Kienspan in der Hand.
    Anna Elisabeth las die Frage in seinen Augen. »Ja, zünd nur an, Michel«, antwortete sie, »und du, Gertrud – gib den Kleinen ganz schnell ihr Nachtmahl. Wie lange hab ich denn hier gesessen ...?«
    »O – lange«, sagte der Michel.
    »Aber nicht zu lange«, suchte Gertrud zu beschönigen. »So großen Hunger hatten wir überhaupt noch nicht.«
    »Ich doch«, machte Michel ihre Bemühungen um Harmonie sofort wieder zunichte. »Mir knurrt der Magen wie ein wilder Bär...«
    Anna Elisabeth versuchte sich ein Lächeln abzuringen. »Dann füttere diesen Bären jetzt«, sagte sie. »Sollte der Brei nicht langen, um ihn satt zu machen, kann noch das frische Brot angeschnitten werden.«
    Die kleine Gertrud mischte sich wieder ein. »Wir hätten es schon getan«, sagte sie schüchtern, »aber es war ja noch nicht gesegnet, Annelies. Das musst du doch tun ... wo der Altvater nicht mehr bei uns ist ...«
    Anna Elisabeth kam ihrer Pflicht sofort nach. Schweigend ritzte sie drei Kreuze in die dicke braune Kruste des frischen Brotlaibes und reichte ihn dann dem kleinen Mädchen, das sich schon so verständig anstellte. »Nun darf es gegessen werden«, sagte sie sanft. »Verzeiht mir, dass ich euch so lange hab warten lassen.«
    Damit nahm sie das graue Papier wieder zur Hand. »Willst du denn nicht auch etwas essen?«, fragte das kleine Mariechen besorgt. »Es ist doch so viel da ... und du musst ja bei Kräften bleiben!«
    Anna Elisabeth schenkte der Vierjährigen ein zärtliches Lächeln. Wie oft hatte sie selbst dem Kind diese Worte schon gesagt? »Lasst mir einfach etwas übrig«, sagte sie. »Ich nehme mir später davon – wenn ihr alle fertig seid.«
    Die Kinder gaben sich zufrieden. Gertrud, die bereits Löffel für alle zurechtgelegt hatte, schleppte den schweren Breikessel vom Herd zum Tisch, und der Michel sah tatenlos zu, wie die Kleine sich abmühte – ein echter Mann, schon jetzt, mit seinen vierzehn Jahren.
    Doch Anna Elisabeth wies ihn heute nicht zurecht, wie sie es üblicherweise getan hätte. Sie war in Gedanken bei dem, was Albrecht ihr geschrieben hatte. Eine Fahrt hatte er

Weitere Kostenlose Bücher