Blutiger Frühling
Mühe, den scherzenden Ton beizubehalten. Gleichzeitig kam ihr das Bild eines hochgewachsenenMannes mit durchgelaufenen Stiefeln und schulterlangem Blondhaar in den Sinn – das Bild dessen, der die wollene Decke im Stall hatte liegen lassen ...
»Wer weiß?«, brummelte der Vater. »Bist schon lang im heiratsfähigen Alter, und auch andere täten dich gern nehmen – noch andere außer dem Hannes.«
Anna Elisabeth nahm den brennenden Kienspan aus der Wandhalterung und entriegelte die Kellertür. Dann, ohne zu antworten, nahm sie den Krug und stieg in die dunkle Kellerhöhle hinab. Die Worte ihres Vaters hatten sie in Verwirrung gestürzt – sie wusste selbst nicht genau, warum.
Das Bierfass stand in der hinteren Ecke des niedrigen Tonnengewölbes. Anna Elisabeth steckte den Kienspan in den dafür vorgesehenen Eisenring an der Wand, stellte die Kanne unter den Zapfhahn und drehte langsam und sorgfältig auf. Während das Bier lief, kippte sie den Krug ganz leicht, damit nichts überschäumte, und schloss den Hahn wieder, als die Kanne voll war. Wer sollte sich denn wohl für sie interessieren außer dem Hannes, dachte sie. Im Dorf kam außer ihm niemand als Bräutigam in Frage, und aus den Nachbardörfern hatte sich noch nie ein Bewerber gemeldet ...
Was der Vater sich immer so zusammenreimte! Auf der Kirmes, beim Michaelifest, würde sie ganz sicher mit keinem tanzen außer dem Müllerhannes – so, wie der es gesagt hatte. Die anderen jungen Männer wussten doch alle, dass sie zu ihm gehörte, und fürchteten sich außerdem vor seinen harten Fäusten. Der Hannes stand mit gutem Grund in dem Ruf, dass er sein Eigentum bestens zu verteidigen verstand.
Eigentum. Aber war sie sein Eigentum – und wollte sie es überhaupt sein? Wollte sie jemandem ganz und gar gehören, mit Leib und Seele?
Der Kienspan zischte und begann zu blaken; ein Wassertropfen musste von der Decke gefallen sein und die Flamme getroffenhaben. Anna Elisabeth nahm die Fackel wieder an sich und packte den vollen Krug am Henkel. Tief in Gedanken trug sie ihn die Treppe hinauf. Wie konnte es ein Mensch überhaupt ertragen, einem anderen untertan zu sein? Der Vater hatte ihr immer viel Freiheit gelassen und niemals auf unbedingtem Gehorsam bestanden – doch er hätte es tun können. Es war sein Recht. Nach der Hochzeit würde es Hannes Rebmanns Recht sein, ihr zu befehlen ... und sie würde gehorchen müssen.
Eine Frau tat nicht immer gut daran, zu heiraten. Was geschehen konnte, wenn sie den Falschen gewählt hatte, das konnte man an der Grete sehen, der Frau des Schmieds ganz am Ende des Dorfes. Die Grete war schon oft genug von dem Ihren so misshandelt worden, dass sie tagelang das Bett hatte hüten müssen. Mittlerweile fehlten ihr zwei Schneidezähne. Ihre Unterarme waren krumm von schlecht verheilten Knochenbrüchen. Und ihre Kinder waren immer so verschüchtert und ängstlich, dass einem bei ihrem Anblick das Herz wehtat. Nur ihr Ältester, der Toni – der würde später sicher einmal ebenso gewalttätig werden wie sein Vater. Schon jetzt hatten alle anderen Kinder aus dem Dorf Angst vor ihm.
Aber der Hannes war nicht so einer wie der Schmiede-Jörg. Bei dem würde es ihr gut gehen. Er würde ihr alles zuliebe tun, würde auf keinen Fall zulassen, dass ihr ein Leid geschah. Der Hannes war ein anständiger Kerl. Sie kannte ihn ja schon seit der Kinderzeit. Besser als mit ihm konnte sie es nicht treffen. Und die Liebe würde später kommen.
Der Vater und sein zukünftiger Schwiegersohn waren in ein munteres Gespräch vertieft, als Anna Elisabeth mit dem Bier in der Stube ankam. Sie steckte den Kienspan wieder in seine Halterung, holte Becher vom Wandbord und schenkte den Männern ein. »Magst auch ein Schlückchen trinken?«, fragte der Hannes und bot ihr seinen Becher an.
»Ausnahmsweise.« Anna Elisabeth liebte Bier nicht besonders,auch wenn es in diesem Fall das beste war. Widerstrebend füllte sie einen Becher für sich.
»Komm, setz dich zu uns, Annelies«, forderte der Vater sie auf. »Der Hannes hat noch ein Weilchen Zeit.«
»Und ich hab zu nähen«, sagte sie. »Der Mantel fürs Mariechen soll so schnell wie möglich fertig sein. Hab’s ihr versprochen.«
»Seit wann nähst du mit dem Mund oder mit den Ohren?«, wies der Vater sie zurecht. »Am Zuhören oder Reden wird dich die Näherei ja wohl nicht hindern.«
»Was soll ich bei Männergesprächen mitreden?«, gab Anna Elisabeth zurück. »Das schickt sich nicht – so
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