Blutiger Frühling
entgegen. »Was ist es denn?«, wollte sie wissen.
»Mach’s auf, dann siehst du’s!«
Sie wickelte den Leinenstoff auseinander, in den sein Geschenk eingeschlagen war. Ein Tüchlein kam zum Vorschein – ein Halstuch aus ganz zartem, hellblau gefärbtem Barchent, so fein, wie sie noch nie eines gesehen hatte. »Oh«, flüsterte sie, »das ist schön ... es muss ein Vermögen gekostet haben ...«
Hannes strahlte. »Dann magst du es?«, wollte er wissen. »Es soll mein Verlobungsgeschenk sein, Annelies!«
Sie fuhr mit den Fingerspitzen ganz sacht über den weichen Stoff. »Ja, ich mag es«, antwortete sie ehrlich, »aber ich weiß nicht, ob ich es annehmen kann ...«
»Warum denn nicht?«, ließ sich der Vater polternd vernehmen. »Wenn du erst die Frau Rebmännin bist, wirst du aufdeinen Stand zu achten haben, und es schadet nicht, schon im Brautstand damit anzufangen!«
»Im Brautstand ...«, flüsterte Anna Elisabeth. Sie hatte als Hannes Rebmanns Braut gegolten, so lange sie zurückdenken konnte. Irgendwie war es für alle aus dem Dorf immer eine ausgemachte Sache gewesen, dass sie einmal Hannes’ Frau werden würde. Nur sie selbst hatte sich mit dem Gedanken nie näher befasst. Der Zeitpunkt ihrer Hochzeit hatte immer in weiter, weiter Ferne gelegen. »Hannes, bist du dir wirklich sicher, dass du mich nehmen willst?«
Er sprang von der Bank auf, kam um den Tisch herum und fasste sie um die Taille. »Schätzle«, sagte er fröhlich, »noch nie im Leben war ich mir so sicher. Nächsten Mai gibt’s eine Hochzeit, die soll drei Tage dauern!«
»Aber ich krieg kaum eine Mitgift«, wandte Anna Elisabeth ein. »Von meiner Mutter hab ich nur eine Kiste mit Weißzeug ...«
»Weißzeug ...« Hannes lachte und zwinkerte dem Alten zu. »Was brauchst du Heiratsgut, wenn dein Mann einen Hausstand schaffen kann?« Er beugte den Oberarm, so dass seine Muskeln sich spannten. »Glaub mir, Schätzle – in der Mühle werden wir bestimmt nicht hungern und frieren!«
»Du könntest dir im Kirchdorf eine Bessere ausfindig machen als mich.« Anna Elisabeth gab noch nicht auf. »Eine, die mehr in die Ehe mitbringt.«
»Eine Bessere als dich gibt es nicht.« Hannes schaute ihr in die Augen und nickte wie zur Bestätigung seiner eigenen Worte. »Du bist die Meine und warst es schon immer, Annelies.«
»Finde dich damit ab, Tochter, dass die Kinderzeit nun bald zu Ende geht«, sagte der Vater trocken. »Ich weiß wohl, warum du dich bisher immer vor dem Heiraten gedrückt hast.« Er lachte kurz auf. »Aber nun wollen wir nicht mehr warten, der Hannes und ich. Er will ein Weib – und ich will Enkel. Gefreit wird nächsten Frühling. Keine Ausflüchte mehr!«
»Ja, wenn’s so steht ...« Anna Elisabeth rang sich ein Lächeln ab. Sie mochte den Hannes ja auch. Er würde sicher einen guten Hausvater abgeben. Die Liebe kommt später, hatte die Mutter immer gesagt, als sie noch lebte.
Sie ließ sich von Hannes auf die Wange küssen. Als er mutiger werden wollte, schob sie ihn weg. »Nicht so wild«, wies sie ihn zurecht. »Das ziemt sich noch nicht für uns ...«
Er grinste. »Aber auf der Kirchweih«, sagte er mit einem lustigen Augenzwinkern, »da wirst du es dir gefallen lassen müssen, Annelies. Für Brautleute ist das Küssen erlaubt – sogar vor allem Volk!«
»Untersteh dich!« Anna Elisabeth ging auf seinen neckenden Ton ein. »Und solltest du’s doch zu toll treiben wollen – ich kann immer noch schneller rennen als du, Hannes Rebmann!«
»Dumme Kindereien«, brummelte der Vater. »Für so etwas bist du inzwischen zu alt, Annelies.« Er deutete auf den Bierkrug. »Renn lieber in den Keller – da kommt was Nützliches bei raus. Und werde endlich erwachsen!«
Hannes kniff ein Auge zusammen und versuchte, weise dreinzuschauen. »Hör auf deinen Vater, Annelies«, fügte er hinzu, »ich hab auch auf meine Mutter gehört.«
»So? Was hat dir die denn aufgetragen?« Anna Elisabeth stemmte die Faust in die Hüfte. »Hoffentlich war’s derselbe Ratschlag, den mir mein Vater gerade gegeben hat.«
»Sie meinte, ich soll endlich Nägel mit Köpfen machen«, sagte Hannes, der die kleine Ironie in ihren Worten nicht mitbekommen hatte. »Für mich gäbe es keine bessere Frau als dich, Schätzle«, er grinste sie breit an, »und wenn ich noch länger warten tät, dann könnt es sein, dass dich mir ein anderer vor der Nase wegschnappt.«
»Wer sollt denn das sein?« Anna Elisabeth legte den Kopf schief und gab sich alle
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