Blutiger Frühling
eingeschüchtert werden? Und wenn das Letztere beabsichtigt war – wer sollte mit den Herren verhandeln?
Joos Fritz lieferte ihr unverzüglich die Antwort. »Der Kanzler Wendelin Hipler aus Hohenlohe hat unsere Forderungen in Worte gefasst«, sagte er. »Er wird die Bauernschaft auch vor Gericht vertreten, wenn es so weit ist. Wendelin Hipler ist auf dem Gebiet beider Rechte bewandert. Er wird für uns verhandeln, Brüder.«
»Und wenn er keinen Erfolg hat, bringen wir die Herren von Adel und Geistlichkeit zum Schlottern«, fügte Quirin hinzu. Er stieß seinen Nachbarn derb in die Rippen. »Was Simon? Wir werden sie das Fürchten lehren. Bist du auch dabei, Hannes?«
Johannes Rebmann schoss ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Da fragst du noch? Warten wir ab. Bald wissen wir mehr ...«
»Boten sind überall unterwegs«, bestätigte Joos Fritz, indem er seinen Becher leerte und sich erhob. »Ich selbst trage das Feuer weiter, Brüder – behaltet frohen Mut und vergesst nicht: unsere Sache ist gerecht. Diesmal werden wir siegen!«
»Wollt Ihr etwa in der Nacht noch weiter?«, fragte Anna Elisabeths Vater. »Es wird ja schon dunkel, Mann – noch eine halbe Stunde, und Ihr seht die Hand vor Augen nicht mehr!«
»Einer, der alles sieht, leitet mich«, entgegnete Joos Fritz mit einem sonderbaren Lächeln. »Für ihn und sein Gesetz kämpfe ich ... er wird mich nicht im Stich lassen. Gehabt euch wohl!«
Damit ging er zum Holzstapel, nahm seinen Mantel auf und hängte ihn sich um die Schultern. Ohne ein weiteres Wort war er aus der Tür. Die sinkende Dämmerung verschluckte ihn, als sei er nie da gewesen. Doch die Aufbruchsstimmung, die er erzeugt hatte, blieb wie etwas Greifbares in der Stube zurück.
»Alle Menschen sind gleich«, murmelte Hannes Rebmann nach einem Augenblick des Schweigens. »So hat Gott es gewollt – und so werden wir es durchsetzen.«
»Wenn’s sein muss, mit Gewalt«, sagte Quirin. Simon ballte die Fäuste. »Sie sollen uns kennen lernen«, fügte er grimmig hinzu.
Die Männer schienen so zornig und so entschlossen, sich an dem Aufstand zu beteiligen. Anna Elisabeth, die angefangen hatte, die große Schüssel abzuwaschen, verstand mit einem Mal, was Hannes ihr am Nachmittag hatte sagen wollen. Er hatte den Besuch des Joos Fritz erwartet und dessen Botschaft bereits gekannt.
Den Herren vom Adel sollte die Macht genommen werden, willkürlich über ihre Untertanen zu verfügen ... Albrecht Wolf von Weißenstein war ein Herr. Wenn die Wut der Bauern sich über ihm entlud – dann war auch er seines Lebens nicht mehr sicher. Bei diesem Gedanken begann Anna Elisabeths Herz angstvoll zu hämmern, und sie musste sich abwenden, damitHannes die neuen Tränen nicht bemerkte, die ihr über die Wangen liefen.
Der Burghof hatte sich mit gesattelten Pferden, kläffenden Hundemeuten, Treibern und aufgeregt hin und her laufenden Knechten bevölkert. Albrecht, der zusammen mit seinen Gästen ein reichliches Frühstück aus frisch gebackenem Brot, Speck, Käse und Bier eingenommen hatte, trat nun auch ins Freie. Hinzheim war bereits aufgesessen; sein Ross, ein mächtiger Grauer, prunkte in rotem Riemenzeug, das unter dem trüben Himmel besonders intensiv leuchtete. Der Götz, ein kurz gewachsener, breitschultriger und etwas beleibter kleiner Herr mit einem viereckig gestutzten Bart, hievte sich gerade in den Sattel seines hochbeinigen Fuchshengstes. Die beiden Junker aus der Nachbarschaft, Hermann und Ortwin Starkenberg, prüften vor dem Aufsitzen noch einmal die Schnallen an den Bauchgurten ihrer Pferde, und der Gast, der mit dem Berlichingen gekommen war, ein drahtiger, aber deutlich jüngerer Herr, stand neben seinem Rappen und schaute gedankenverloren ins Tal hinab.
Albrecht kannte den Mann nicht. Dem Götz dagegen schien er recht vertraut zu sein, obwohl offenbar keine Freundschaft zwischen den beiden bestand. Denn sie hatten schon am Abend zuvor, nach dem Eintreffen auf Weißenstein, kaum ein Wort miteinander gewechselt, obwohl sie doch miteinander angekommen waren. Selbst als der Berlichingen bei Tisch seine eiserne Hand vorgeführt hatte, dieses mechanische Wunderwerk, das ihm von einem kunstfertigen Schmied als Ersatz für seine verlorene Schwerthand angefertigt worden war, hatte er kaum einen Blick dafür übrig gehabt, geschweige denn eine Bemerkung.
Auch jetzt kehrte der Mann, der Albrecht als Florian Geyer vorgestellt worden war, dem Götz den Rücken zu. Vielleicht hatten sich die
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