Blutiger Frühling
die Herren ihre Untertanen bedrücken und beschweren, dass sie ihres Lebens nicht mehr froh werden, dann ist es recht und billig, wenn sie aufbegehren. Dann ist es an der Zeit, das Joch abzuschütteln und –«
»Was Ihr da sagt, ist vermessen«, fuhr ihm Anna Elisabeths Vater ein zweites Mal in die Rede. »Wie könnt Ihr gegen Gottes Obrigkeit streiten wollen? Dieses Dorf zum Beispiel untersteht einem Kloster – wie könnt Ihr es wagen, die Diener Gottes, denen wir verpflichtet sind, so übel anzugehen?«
»Aber die so genannten Hirten hüten ihre Herde ja nicht«, mischte sich Hannes zornig ein. »Vater – habt Ihr etwa den armen Matthias vergessen, dem der feiste, voll gefressene Abt von Kaltental neulich das letzte bisschen Habe abgenommen hat? Habt Ihr vergessen, dass wir alle immer wieder von ihm ausgeplündert werden und so gut wie jeden Winter hungern müssen?«
»An dem, was Joos Fritz sagt, ist viel Wahres dran«, knurrte der Quirin. »Dieser Doktor Luther hat Recht – es kann Gott nicht gefallen, dass so viele seiner Kinder derart gepresst und ausgebeutet werden!«
»Und überhaupt«, meldete sich jetzt auch Simon zu Wort, »wenn wir vor Gott alle gleich sind – vor dem Gesetz sind wir’s nicht. Wir werden doch nicht höher geachtet als das liebe Vieh! Ist das Gottes Gerechtigkeit – oder die der Menschen?«
»Wir müssen das Menschengesetz ändern«, sagte Joos Fritz. »Wir müssen die Herren zwingen, unsere gerechte Sache anzuerkennen – denn freiwillig sind sie nicht bereit dazu!«
»Warum sollten sie auch?«, warf Hannes ein. »Denen geht es doch gut – sie leben von unserem sauren Schweiß, und das in Saus und Braus!«
»Wenn ich daran denke, dass der fette Abt und seine liederlichen Pfaffenbrüder dem Matthias das Schwein weggefressen haben«, knurrte Simon, »dann kommt mich das Kotzen an!«
Quirin grinste. »Ich hätte nicht übel Lust, den Klostervogt auch mal –«
»Du versündigst dich«, fuhr ihm Anna Elisabeths Vater dazwischen, bevor er sagen konnte, was er dem Klostervogt gerne angetan hätte. »Hüte deine Zunge!«
»Es geht ein großes Aufbegehren durch die Bauernschaft von Odenwald und Neckartal«, sagte Joos Fritz, ohne sich durch den erregten Einwurf des alten Mannes beeindrucken zu lassen. »Schon haben sich Truppen zusammengeschlossen – der Jakob Rohrbach, Wirt zu Böckingen bei Heilbronn, ist zum Hauptmann ausgerufen, genau wie der Georg Metzler, Wirt zu Ballenberg bei Krautheim. Täglich kommen mehr Männer dazu – mutige, aufrechte Männer, die es wagen wollen, den Herren die Stirn zu bieten.« Er fixierte die drei jungen Bauern mit wildem Blick. »Seid auch ihr dabei, Brüder? Wollt auch ihr für die gerechte Sache Leib und Leben wagen?«
»Aber wie soll das gehen?«, fragte der Simon in einer plötzlichen Anwandlung von Bedenken. »Wer wird uns denn anhören? Den Herren ist es doch einerlei, wenn ein Bauer sich beschwert – keiner von denen wird die zwölf Artikel auch nur lesen, geschweige denn sich danach richten!«
»Sie werden schon zuhören, wenn ein bewaffnetes Bauernheer ihre Burgen und Schlösser und Klöster belagert«, sagte Joos Fritz trocken. »Aber wir müssen unserer viele sein – das allein wird sie zum Nachdenken bringen.«
»Ihrer sind auch viele«, murmelte der Vater. »Und sie sind es gewohnt, zu streiten ...«
»Trotzdem«, konterte Joos Fritz, »wenn wir Bauern uns in allem einig sind, dann sind wir ihnen überlegen.« Er warf den drei jungen Männern am Tisch einen glühenden, schwärmerischen Blick zu. »Vergesst nicht, Brüder – Gott selbst ist auf unserer Seite, das ist gewiss. Er will nicht, dass seine unterdrückten Kinder noch länger leiden – denn er liebt sie!«
Der alte Mann schüttelte resignierend den Kopf. Hannes, Quirin und Simon dagegen hatten Feuer gefangen. »Wir können gar nicht verlieren«, bestätigte Hannes mit Überzeugung. »Wir sind viel stärker, als wir denken ...«
»Ich meine sogar, zwei von uns wiegen leicht zehn Pfaffen auf«, sagte Simon, »oder zwanzig zimperliche Herrensöhnchen!«
Quirin lachte. Anna Elisabeth, die auf dem Herdrand saß und still zugehört hatte, überkam ein ungemütliches Gefühl. Der Fremde, der sich Joos Fritz nannte, hatte zwar auch ihr irgendwie aus der Seele gesprochen. Aber die Art, wie er seine Ziele zu verwirklichen suchte, bereitete ihr Unbehagen. Zu den Waffen wollte er die Bauern rufen. Hieß das, einen Krieg zu führen – oder sollten die Herren nur
Weitere Kostenlose Bücher