Blutiger Frühling
zur Fahne erwählt, dazumal ..., und der Bundschuh wurde verraten.« Er hob die Hand und ballte die Faust zu einer herrischen Geste. »Doch das wird diesmal nicht geschehen«, fuhr er leidenschaftlich fort. »Herr Martinus streitet an unserer Seite. Die Freiheit eines Christenmenschen ist gottgegeben und darf nicht angetastet werden, sagt er!«
»Was soll das für eine Freiheit sein?«, wollte der Vater wissen. Er hatte sich vorgebeugt und betrachtete den Fremden mit vorsichtiger Skepsis. »In unserem Ort kennt man die Schriften dieses Herrn Martinus nicht – weil wir alle nicht lesen können.«
Joos Fritz heftete den flammenden Blick auf den alten Mann. »Um Euch allen die Wahrheit zu bringen«, sagte er eindringlich, »dazu bin ich hier. Ihr müsst unsere Ziele kennen. Die evangelische Bruderschaft darf nicht blind in die Irre tappen ... diesmal nicht!«
»Setzt Euch zu uns, Joos«, forderte Hannes den Fremden auf. »Wenn Ihr gestattet, Vater ...«, er sah den Hausherrn bittend an, »dann wollen wir hören, was er uns zu berichten hat.«
»Gut.« Anna Elisabeths Vater stimmte zögernd zu. »Ihr könnt einen Becher Bier mit uns trinken. Zum Essen kann ich Euch leider nicht mehr einladen – dazu kommt Ihr zu spät.«
»Wie wäre es mit Brot und Speck?«, mischte sich Anna Elisabeth ein. Sie hatte bereits eine dicke Scheibe vom Laib heruntergeschnitten.
Der Fremde lächelte dankbar, und der Hausvater nickte erleichtert. »Ja, natürlich«, sagte er, »Ihr werdet hungrig sein ...«
»Sind wir nicht alle hungrig?«, gab Joos Fritz zurück. »Verlangt uns nicht alle nach Gerechtigkeit?«
Er nahm den Teller mit Brot und Speck entgegen. Die Männer auf der Bank machten ihm bereitwillig Platz, so dass er sich setzen konnte. Schweigend verzehrte er die karge Mahlzeit. Doch sobald der letzte Krümel in seinem Mund verschwunden war, begann er zu reden. »Schon bei der Heuernte hat es begonnen«, erzählte er, »als die Stühlinger Bauern von ihrer Herrschaft aufgefordert wurden, Schneckenhäuslein zu suchen ...«
»Schneckenhäuser...? Wozu das?«, wollte der Vater ungläubig wissen.
»Die Gräfin stickte gerade an einem seidenen Zaumzeug fürihren Gemahl«, erklärte Joos Fritz. »Sie brauchte die Schneckenhäuslein, um Garn darauf zu winden.«
Anna Elisabeth verstand nichts. »Mitten in der Heuernte hat sie dafür die Bauern ausgeschickt?«, fragte sie nach. »Hätte sie denn nicht warten können, bis die wichtige Arbeit getan ist?«
»Sie wollte nicht warten«, sagte Joos Fritz. »Aber die Stühlinger Bauern weigerten sich.«
»Und was dann?« Anna Elisabeths Vater machte große Augen. »Sie wurden doch sicherlich zum Gehorsam gebracht?«
Joos Fritz reckte sich. »Der Graf hat es weidlich versucht, aber sie gehorchten nicht«, erwiderte er und hob die Stimme. »Sie ließen ihren Herrn wissen, dass sie solche Narreteien fortan nicht mehr dulden wollen!«
»Und der Ungehorsam ging weiter«, warf Hannes mit leuchtenden Augen ein. »Erzählt uns, was dann geschah, Joos !«
»Nun«, sagte Joos Fritz und zeigte ein triumphierendes Lächeln, »die Kunde verbreitete sich. Andere Bauern fingen auch an, gegen Ungerechtigkeiten aufzubegehren. Mittlerweile sind viele Dörfer im Aufruhr ... die Herren verhandeln bereits mit der Bauernschaft um Änderung der Gesetze. Aber das allein ist nicht genug. Auch Odenwald und Neckartal muss sich zur Bewegung bekennen – damit die zwölf Artikel überall angenommen werden!«
»Was meint Ihr damit?«, fragten Simon und Quirin wie aus einem Mund. »Artikel ... was ist das?«
»Es sind zwölf Forderungen, die wir an die Herren stellen«, erklärte Joos Fritz mit wachsender Leidenschaft. »Erstens – wir wollen unsere Pfarrer selbst wählen ... Zweitens, wir wollen den Kleinen Zehnt nicht mehr zahlen, desgleichen auch den Todfall nicht mehr. Denn das sind Gesetze, die nicht von Gott, sondern von Menschen gemacht sind. Drittens ...«
Der Vater, der die ganze Zeit sprachlos zugehört hatte, unterbrach den Fremden jetzt mit einer heftigen Handbewegung.
»Hat Gott nicht selbst die Herren über uns gesetzt, damit sie uns lenken und leiten?«, stellte er seine Frage in den Raum.
Joos Fritz atmete tief ein. »Die reine Lehre lautet anders«, widersprach er ungerührt. »Vor Gott sind alle gleich. Ein Christenmensch aber ist nur dem Allmächtigen und seinem Gewissen verpflichtet.«
»Dann soll man dem Kaiser nicht geben, was des Kaisers ist?«
»Doch«, sagte Joos Fritz. »Aber wenn
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