Blutiger Klee: Roman (German Edition)
einmal
auf diesem Gebiet einen Job zu finden oder vielleicht gar zu forschen. Aber das
Geld als Studentin war knapp, und das Angebot von Anita, in ihrer Boutique auszuhelfen,
war ein wahrer Glücksfall gewesen.
Anna bog
in die gepflasterten Rundbogenarkaden ein, die auch im Hochsommer so wunderbar kühl
waren, und stand schon nach wenigen Schritten vor ›Anitas Fashion Corner‹. Der Laden
sollte ihrer Meinung nach besser ›Anitas Pseudofashion Corner‹ heißen, aber sie
würde sich hüten, ihrer Arbeitgeberin diesen Vorschlag zu unterbreiten. Die Auslage
war vollgestopft mit unechten Louis-Vuitton-Taschen, Jäckchen mit goldfarbenen Knöpfen
im Chanel-Stil und Cocktailkleidern, deren Trägerinnen schwer an Glitzersteinen
und Pailletten zu tragen hatten. Die Käuferinnen waren Salzburgerinnen, die das
ewige Dirndltragen satt hatten, Touristinnen im Kaufrausch, vor allem aber Frauen,
die davon träumten, wenigstens einmal wie russische Oligarchengattinnen auszusehen,
warum auch immer. Anna musste dann mit reizendem Lächeln verfolgen, wie sich hübsche
Mädchen in Tussis verwandelten. In Jeans und T-Shirt betraten sie den Laden, in
hautengen Minikleidern in Leopardenprint mit Klunkergürtel verließen sie ihn wieder,
am Arm eine riesengroße falsche Kelly-Bag aus hellblauem Plastikleder.
Anna seufzte.
Aber heute würde das eine ganz besonders harte Nuss werden, die sie zu knacken hatte.
Anita würde aus der Haut fahren. Aber es ging nicht anders, sie hätte sowieso schon
längst im Bus Richtung Bad Ischl sitzen müssen. Sie klopfte gegen das Glasportal,
und Anita erschien aus der Tiefe des kleinen Gewölbes, dessen monatliche Miete allerdings
ein Vermögen ausmachte. Sie sperrte die Tür auf, ließ Anna eintreten, und versperrte
die Tür wieder hinter ihr.
»Wo steckst
du denn? In zehn Minuten machen wir auf, und ich muss noch die Sendung mit den neuen
Cashmere-Rollis kontrollieren. Da ist wieder einmal …«
»Anita«,
sagte Anna. »Ich kann nicht dableiben. Ich muss zu meiner Tante.«
Anita starrte
sie an mit offenem Mund.
»Was heißt
das, du kannst nicht dableiben? Bist du verrückt geworden? Hast du vielleicht Presswehen
oder was Ähnliches? In dieser Woche muss es brummen, das ist dir doch hoffentlich
klar! Nach diesem Sauwetter im Juli müssen wir jetzt aufholen, was möglich ist,
wir haben noch nicht einmal die Hälfte von der Tankinikollektion verkauft, das weißt
du doch! Wir saufen ab, wenn bis Freitag die Kasse nicht stimmt!«
»Das weiß
ich ja alles«, sagte Anna, sie verlagerte unbehaglich ihr Standbein. »Aber es geht
wirklich nicht anders. Ich muss zu meiner Tante, sie braucht mich!«
»Deine Tante
braucht dich? Deine Tante? Habe ich das richtig verstanden, du willst mich wegen
einer …«
»Meine Tante
hat den Gleinegg gefunden.«
So, jetzt
war es heraus. Sie hätte es gerne für sich behalten, aber andererseits war auch
klar, dass diese Sensation sowieso jedes Inkognito sprengen würde. Auf dem Weg hierher
hatte sie in einem Kaffeehaus Halt gemacht und bei einem Cappuccino hastig den Stapel
an Morgenzeitungen durchgeblättert, den sie am Kiosk in der Kaigasse erstanden hatte.
Die Redaktionen hatten offenbar Sonderschichten in der Nacht eingelegt, die Meldung
war der größte Aufmacher seit der Mondlandung, so war es ihr jedenfalls vorgekommen.
Auf jedem Titelblatt prangte das Konterfei vom Baron, der innerhalb weniger Stunden
zum ›Fürst‹ aufgestiegen war. ›Fürst ermordet‹ war noch die harmloseste Schlagzeile,
andere wussten bereits mehr: ›Grässlicher Ritualmord an Fürst Gleinegg‹, ›Fürst
lag in Blutlache‹, ›Ausnahmezustand im fürstlichen Schloss‹. Sie hatte gar nicht
weitergelesen, sondern den ganzen Stapel in ihre Tasche gestopft und war hierher
gelaufen. Und jetzt musste sie weiter zur Bushaltestelle.
Anita starrte
sie noch immer an, mit offenem Mund. Dann ließ sie sich auf ein goldenes Stühlchen
sinken.
»Das war
deine Tante, die den Gleinegg gefunden hat? Diese alte Frau, die Katharina L.? Ich
habe ja schon alle Zeitungen gelesen, und im Frühstücksfernsehen hat es kein anderes
Thema gegeben. Die haben sogar schon um sechs Uhr Interviews mit Leuten aus dem
Dorf gebracht, die zum Bäcker gegangen sind. Hast du das gesehen? Das ist ja unglaublich!
Deine Tante …«
Anita war
völlig aus dem Häuschen. Anna konnte sich lebhaft vorstellen, wie Anitas Handy glühen
würde, sobald sie nur einen Schritt aus dem Laden gemacht hatte. Diese Sensation,
diese
Weitere Kostenlose Bücher