Blutiger Klee: Roman (German Edition)
unglaublich glückliche Fügung des Schicksals! ›Anitas Fashion Corner‹ war
in die ganze Geschichte verwickelt, der tote Baron von einem Familienmitglied der
kleine Verkäuferin aufgefunden! Die Cashmere-Rollis würden weggehen wie die warmen
Semmeln und die Tankinis dazu. Jetzt galt es wenigstens, die Gunst des Augenblicks
zu nützen.
»Anita,
ich muss einfach …«
»Natürlich
musst du! Ja, was denn sonst! Natürlich musst du deiner Tante in einer solchen Situation
beistehen. Du lässt hier alles stehen und liegen, hörst du, und fährst auf der Stelle
los. Aber du rufst mich sofort an, wenn du bei ihr angekommen bist und erstattest
mir Bericht, heiliges Ehrenwort, ja? Ich muss doch wissen, wie es dir geht! Und
natürlich deiner Tante! Alles, alles Gute! Und wenn du irgendetwas brauchst, einen
Ratschlag oder so, dann bin ich immer für dich da, das weißt du doch, nicht wahr?«
Anita umarmte
Anna innig, dann schob sie ihre Mitarbeiterin regelrecht zur Tür hinaus.
»Na, mach
schon! Und ruf an, zu jeder Tages- und Nachtzeit, mein Handy ist immer aufgedreht!«
Anna stand
einen Augenblick lang benommen da, dann rannte sie los. Vielleicht konnte sie ja
noch den Bus erwischen, der nächste ging erst wieder in einer Stunde. Bis Bad Ischl
dauerte es dann fast noch weitere eineinhalb Stunden, aber zum Glück würde sie ja
schon nach der Hälfte der Strecke aussteigen. Keuchend kam sie am Mirabellplatz
an, und, was für ein Glück, der Postbus stand noch da. Sie löste einen Fahrschein
beim Chauffeur, dann ging sie nach hinten und ließ sich auf eine Bank plumpsen.
Ausgepowert, schon in aller Herrgottsfrühe. Aber sie hatte auch kein Auge zugemacht
in der vergangenen Nacht. Am späten Nachmittag hatte sie der Anruf erreicht, von
der Loibner Hanni.
»Na, was
sagst du?«, hatte die Hanni ganz aufgeregt gefragt. »Ich habe deine Tante gerade
nach Hause gebracht, sie ist so tapfer, du brauchst dir keine Sorgen machen!«
Anna war
ganz kalt geworden. Was war passiert, um Himmels willen? Sie war gerade vom Radeln
zurückgekommen, bis nach Anif war sie gefahren, hatte dort bei der Gina im Swimmingpool
geplantscht, dann waren sie auf der Terrasse gesessen und hatten Pinot Grigio getrunken
und über die Männer getratscht, was sonst. Ihre Haut war von der Sonne gerötet,
sie fühlte sich so pudelwohl, und jetzt dieser Anruf. »Was ist denn passiert?«,
hatte sie gestammelt.
»Ja, weißt
du denn das noch nicht? Hörst du denn kein Radio? Um fünf haben sie es schon in
den Fernsehnachrichten gebracht. Der Gleinegg ist ermordet worden, und deine Tante
hat ihn gefunden!«
Im ersten
Moment hatte sie an einen Sonnenstich gedacht. Dann war ihr ganz kalt geworden,
ihre Knie hatten wirklich zum Zittern begonnen, das war ihr im ganzen Leben noch
nicht passiert. Sie hatte sich aufs Bett setzen müssen, dann hatte die Hanni ihr
alles erzählt, was sie wusste. Der Gleinegg war erstochen worden, auf der Bank vor
der Kapelle, alles war voller Blut gewesen, ihre Tante hatte ihn gefunden und war
zu den Loibners gekommen, die hatten die Polizei verständigt, ein Chefinspektor
war aufgetaucht und hatte ihre Tante befragt, sehr sympathisch übrigens, der Herr
Inspektor, dann war noch ein zweiter Inspektor gekommen, dann waren die beiden davongefahren,
und die Hanni hatte ihre Tante nach Hause gebracht und war noch kurz bei ihr geblieben,
aber ihre Tante wollte lieber allein sein. Und jetzt war der Teufel los, Journalisten
schwirrten im ganzen Ort herum wie Fliegen über einem Butterbrot.
»Wie geht
es ihr?«, hatte sie gefragt, ihre Stimme war ganz rau gewesen.
»Gut, wirklich,
du kennst sie ja.«
Danach der
Anruf bei der Tante Kathi. Sie hatte wirklich ruhig und gefasst gewirkt, Anna konnte
sich endlich wieder beruhigen. Sie hatte gesagt, dass sie kommen würde, keine Widerrede,
die Tante sträubte sich nur wenig. Nach der Verabschiedung war Anna sitzen geblieben,
wie betäubt.
Ihr war
zumute gewesen, als ob ihre Welt plötzlich einen Sprung bekommen hätte, wie eine
Schüssel, die zu Boden fällt. Der Vater vom Raffi war ermordet worden. Wusste der
Raffi das schon? Wo war er? Sie musste ihn unbedingt sprechen. Und dann hatte sie
bis spät in die Nacht hinein versucht, ihn zu erreichen, aber sie war immer nur
auf der Mailbox gelandet. »Raffi, ruf mich zurück, bitte!«, hatte sie flehentlich
darauf gesprochen, aber nichts war geschehen. Mit brennenden Augen war sie im Bett
gesessen und hatte gewartet, dass es endlich Morgen wurde.
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