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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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Mineralwasser und Ansichtskarten
kaufen konnte. Und Zeitungen, er war schon fast an dem Ständer vorbei, als er das
Bild wahrnahm. Der Vater in voller Jagdmontur, den Wetterfleck aus Loden um die
Schultern gehängt, vor einer ganzen Strecke toter Rebhühner oder sonst irgendwelcher
Vögel. Sein Vater blickte ihm direkt ins Gesicht. Er wandte sich so abrupt ab, dass
er beinahe eine kleine Japanerin umgerannt hätte, die einen hastigen Schritt zur
Seite machte.
    »Verzeihung«,
presste er zwischen den Zähnen hindurch, dann war er endlich wieder im Freien, die
Luft kühlte den Schweiß auf seiner Stirn.
    Er hätte
sich gerne auf die kleine Mauer gesetzt, aber dann würde ihn keine Macht der Welt
mehr zum Weiterfahren bewegen können. Also blieb er stehen und holte sein Handy
heraus, um sich von dem Gesicht abzulenken, das ihn gerade so kalt gemustert hatte.
16 Anrufe in Abwesenheit, dabei war dies seine absolute Privatnummer, die nur die
allerwenigsten kannten. Die Schwestern hatten angerufen, Helene dreimal, Monika
und Henriette je einmal. Zwei Anrufe von Milo, der offenbar wissen wollte, ob er
noch am Leben war oder sich bereits überschlagen hatte auf der Küstenstraße. Und
neun Anrufe von Anna, er wusste nicht, ob er gerührt oder verärgert sein sollte
über diese Anhänglichkeit. Dann fiel ihm ein, was Henriette gesagt hatte, als sie
ihn vor gefühlten 100 Jahren in Dubrovnik erreicht und in ihrer kühlen direkten
Art den Tod vom Vater mitgeteilt hatte. Dass es die Tante Kathi von der Anna gewesen
war, die den Vater gefunden hatte. Er sah die alte Frau mit den freundlichen Augen
vor sich und zum ersten Mal an diesem Tag wurde ihm bewusst, dass er nicht der Einzige
war, dessen Leben nie wieder so sein würde wie gestern noch. Er war nicht der einzige
Betroffene. Was musste das für ein Schock für die alte Frau gewesen sein! Plötzlich
hatte er das Gefühl, als ob er mit einem Plumps wieder in der Realität gelandet
wäre, endlich. Er holte tief Luft und drückte auf die Rückruftaste. Es läutete und
läutete, beinahe hätte er aufgelegt. Dann meldete sie sich doch noch, fast hätte
er sie nicht erkannt.
    »Hallo,
wo bist du?«, flüsterte Anna. Es raschelte und polterte, Stimmen waren im Hintergrund
zu hören, dann war sie wieder dran, diesmal lauter.
    »Raffi,
endlich! Ich habe dich schon so oft angerufen! Und mir solche Sorgen gemacht. Wo
steckst du? Wir haben gerade …«
    »Auf dem
Rastplatz bei der Tankstelle«, unterbrach er sie. »Ich bin seit der Früh durchgefahren,
von Dubrovnik herauf, und hab einfach nicht aufs Handy geschaut. Die Henriette hat
es mir gesagt.«
    »Wie …,
wie geht es dir?«
    Er lachte
beinahe. »Super.«
    Sie klang,
als ob sie gleich weinen würde, auch das noch. »Entschuldige. Es tut mir so leid,
aber mein Kopf ist ganz leer. Wir haben gerade zwei Polizisten im Haus, die …«
    Jetzt war
er wirklich erschrocken. »Wieso, was wollen die von euch?«
    »Ach, die
sind sogar recht nett, besonders der Ältere. Weißt du überhaupt, dass die Tante
Kathi deinen Vater …, also, dass sie ihn gefunden hat?«
    »Weiß ich.
Und das tut mir auch mehr leid als … als das ganze Übrige. Wie geht’s ihr denn?«
    »Ach, eigentlich
ganz gut. Du kennst sie ja.«
    Sie versuchten
beide ein kleines Lachen, dann war es wieder still.
    »Wann sehen
wir uns?«, fragte Anna.
    »Ich weiß
es wirklich nicht«, sagte er. Er merkte plötzlich, wie unendlich müde er war. Er
wollte nur ins Bett fallen, in irgendeines, aber zuerst musste er noch die letzten
Kilometer abspulen und dann die Stufen zum Haus hochsteigen und sich all jenen präsentieren,
die dort auf ihn warteten.
    »Rufst du
mich an?«, fragte eine Stimme an seinem Ohr, sie klang bittend und besorgt zugleich.
    Er riss
sich zusammen. »Natürlich. Ich kann dir nur nichts Genaues versprechen. Jetzt muss
ich erst einmal …« Er verstummte hilflos, ratlos.
    »Das verstehe
ich ja. Aber wenn du mich brauchst, dann ruf an, hörst du? Versprochen?«
    »Versprochen.
Bis dann. Und du, Anna …«
    »Ja?«
    Die Hoffnung
in ihrer Stimme tat ihm fast mehr weh als das Brennen in seinen Gliedmaßen.
    »Danke«,
sagte er.
    »Ach, wofür
denn.«
    »Du weißt
schon. Für alles.«
    »Raffi,
ich …«
    Er drückte
auf die Taste, um nicht mehr hören zu müssen. Dann verstaute er das Handy in der
Innentasche seiner Lederjacke und stapfte o-beinig zum Motorrad zurück. Der Parkplatz
war fast leer bis auf einen Campingbus, der ziemlich verwahrlost aussah, der Wind
ließ

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