Blutiger Klee: Roman (German Edition)
gerettet«, hatte er einmal leise gesagt, als sie in Salzburg auf dem Boden
gesessen waren und miteinander der Musik gelauscht hatten, die Anna beim allerbesten
Willen nicht als wohlklingend empfinden konnte. Aber der Raffi liebte Jazz, sein
ganzes Leben drehte sich darum, der alte Gleinegg hatte seinen Sohn nur umso mehr
verachtet dafür. Und jetzt war er endlich tot. Was der Raffi wohl gerade empfand?
Was würde es für ihn ändern, und was für sie beide? Eigentlich sollte sie ja Erleichterung
empfinden, natürlich nur ganz heimlich. Anna drückte auf die Wahlwiederholungstaste,
dann lauschte sie dem trostlosen Tuten.
*
»Du hast es versprochen!«
Lisa Kleinschmidt
sah von der Fahrbahn weg in den Rückspiegel, sie blickte in die empört aufgerissenen
Augen ihres Sohnes. Max saß so trotzig in seinem Kindersitz, dass sie beinahe lachen
musste. Obwohl, Lachen war jetzt durchaus nicht angebracht. Gleich würden die ersten
Tränen kullern, dabei waren es nur noch zwei Ampeln bis zum Kindergarten. Sie unterdrückte
ein Seufzen. Vor fünf Minuten hatte sie Miriam am Schultor abgeliefert, im allerletzten
Moment vor dem Beginn der ersten Stunde – Geografie! – und jetzt stand sie mitten
im Stau auf der Staatsbrücke, wie jeden Morgen. Und Artur hatte sich angesagt, der
immer so verflixt pünktlich war! Sie wäre am liebsten …
»Du hast
es versprochen! Dass ich mir zum Geburtstag etwas wünschen darf!«
Max ließ
nicht locker, sie führten diese Diskussion bereits seit gestern Abend. Als dieser
Bericht über flauschige Welpen im Tierheim gesendet worden war, unseligerweise hatte
sie erst viel zu spät geschaltet. Oder besser gesagt: abgeschaltet. Jetzt galt es,
eiserne Nerven zu bewahren.
»Ja, das
habe ich. Du darfst dir etwas wünschen!«
»Ich wünsche
mir einen Hund! Nur einen Hund! Sonst gar nix!«
»Max, das
haben wir doch schon besprochen! Es geht nicht! Um einen Hund muss man sich kümmern,
man muss mindestens dreimal am Tag mit ihm spazieren gehen, bei jedem Wetter. Auch
wenn es regnet oder …«
»Aber das
…«
»Und man
muss zum Tierarzt gehen, das kostet viel Geld.«
»Ich habe
ja das Sparbuch von der Freilassing-Oma.«
Eins zu
Null für den Herausforderer. Max riskierte ein keckes Grinsen, sie hätte beinahe
anerkennend zurückgezwinkert. Aber sie hatte noch einen Trumpf im Köcher.
»Und man
muss die Häufchen aufsammeln, das weißt du doch!«
Ihr Sohn
sah einen Moment lang betreten drein, dann ging das Lamento von Neuem los.
»Das macht
mir gar nichts, versprochen Mama! Ich wünsche mir nur einen Hund! Einen ganz kleinen!
Alle anderen Kinder haben einen Hund!«
Endlich,
die Ampel schaltete auf Grün, sie bog in die Nebenstraße ein. Noch hundert Meter
bis zum Kindergarten, nur jetzt kein Geheul provozieren. Sie parkte den Wagen schräg
ein, der Fahrer hinter ihr hupte wütend, weil er ausweichen musste. Beinahe hätte
sie ihm den Stinkefinger gezeigt. Na ja, vielleicht hätte das den Max abgelenkt!
Sie stieg aus und half ihm aus dem Kindersitz, hängte ihm den Dinosaurierrucksack
mit dem Müsliriegel und der zuckerfreien Limonade um.
»Bekomme
ich einen Hund, ja?«
Aus irgendeinem
nicht nachvollziehbaren Grund schien Max Hoffnung geschöpft zu haben, er sah sie
so schelmisch an, dass sie sich einfach niederknien und ihn knuddeln musste.
»Du bist
doch mein Großer, nicht wahr?«
»Bekomme
ich …«
»Wir reden
am Abend weiter, ja?«
Sie war
so ein elender Feigling. Max strahlte sie an und drückte ihr einen feuchten Kuss
auf den Mund, vor all seinen Kumpels, dann lief er davon. Sie sah ihm nach, bis
sein strubbeliger Schopf im Eingang verschwunden war. Dann ging sie um den Wagen
herum und ließ sich auf den Sitz fallen. Der Tag hatte noch nicht einmal richtig
begonnen und ihre Bluse fühlte sich schon ganz verschwitzt an. Ausgerechnet heute.
Artur war immer so proper und adrett, wie aus dem Ei gepellt. Wer ihm wohl die Hemden
bügelte? Nach seiner Scheidung? Ach, sie hatte andere Sorgen. Ob sich der Max mit
einem riesengroßen Plüschhund besänftigen lassen würde? Wohl kaum.
Sie fädelte
sich wieder in den Verkehr ein und gab ordentlich Gas, an der Müllner Kirche vorbei
und weiter Richtung stadtauswärts.
*
Pestallozzi stand vor dem Tisch
aus Stahl und sah auf den nackten Mann hinab. Ein bleicher alter toter Mann, mit
ausgezehrt langen dünnen Beinen und Armen und armselig wenig weißen Schamhaaren
um sein Geschlecht. Eine riesige Wunde zog sich von seiner
Weitere Kostenlose Bücher