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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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eine Bierflasche über den Asphalt kollern. Er setzte den Helm auf und schwang
sich auf die Maschine, startete und fädelte sich wieder in den Verkehr auf der Bundesstraße
ein. Jetzt würde er es hinter sich bringen. Was immer ihn erwartete.
    Die letzte
Kurve rund ums Südufer vom See, dann den Hügel hinauf, auf dessen Kuppe man zur
Linken den Kirchturm und zur Rechten den höchsten Erker vom Haus zwischen den Bäumen
erspähen konnte. Die Kapelle war nicht zu sehen, sie lag im Grün verborgen. Der
scharfe Knick von der Bundesstraße, dann die Mauer entlang, er hätte längst die
Geschwindigkeit drosseln müssen, aber er fetzte dahin, dass kleine Steine ins Gebüsch
spritzten. Das Tor in der Mauer war offen, zum Glück, er preschte durch und hatte
eine Sekunde lang den Eindruck, dass ihn jemand aufzuhalten versuchte. Aber da brauste
er schon hinauf zum Haus, an dem Engel und dem dämlichen Pavillon vorbei, eine Biegung
noch, dann bremste er die Maschine ab, dass sie die letzten Meter im Kies dahinschlingerte
wie ein junger Hund auf dem zugefrorenen See. Er blieb sitzen und nahm den Helm
ab, in seinen Ohren summten noch immer der Motor und der Fahrtwind. Erst nach und
nach nahm er andere Geräusche wahr, das Rascheln der Blätter, den Schrei eines Vogels,
der über der Dachrinne flatterte. Im Salon brannte schon eine Lampe, alle übrigen
Fenster spiegelten sich grau im Nachmittagslicht.
    Er stieg
von der Ducati ab und klappte den Ständer herunter, dann hängte er den Helm über
den Lenker. Er ging auf die Freitreppe zu und begann langsam hinaufzugehen, Stufe
um Stufe. Komisch, er hatte sie nie gezählt, auch als Kind nicht. Dabei hatte ihm
das Zählen immer Spaß gemacht und auch irgendwie Trost geschenkt. Sicherheit. Einmal
hatte er 117 Kastanien gesammelt und daraus eine endlos lange Kette gefädelt. Und
ein anderes Mal …
    Er stand
auf der letzten Treppenstufe, direkt vor dem großen Holzportal. Die gute Fee war
nie gekommen, auch sie hatte ihn im Stich gelassen. Er wollte schon gegen den Türflügel
drücken, aber dann griff er nach dem eisernen Ring und ließ ihn gegen das Holz fallen.
Er würde sich nicht ins Haus schleichen wie früher, wenn er wieder einmal über die
Stränge geschlagen hatte, nie wieder. Der Ton verklang, dann war ein langsames Schlurfen
zu hören. Der Jakob, unverkennbar, er begann zu lächeln. Nachher würde er sich zum
Jakob in die Küche setzen und mit ihm ein Speckbrot essen und einen Tee mit Rum
trinken. Genau, das würde ihn retten, wie schon als Halbwüchsigen.
    Der Türflügel
ging langsam auf, und der alte Jakob stand da. Er wollte einen raschen Schritt auf
ihn zu machen und ihn umarmen, aber der Diener wich zurück und verbeugte sich mühsam.
    »Grüß Gott,
Herr Baron«, sagte der alte Jakob.
    Franz Raffael
Marianus Lovis Bartholomäus Wenzel Abraham Anton Gleinegg-Sexten ließ die Arme sinken.
     
    *
     
    Anna saß auf dem Bett in ihrer kleinen
Kammer unter dem Dach, die Tante Kathi hatte sich endlich nebenan schlafen gelegt.
Still war es im Haus, nur die Holzbalken knisterten und krachten ab und zu. Diese
Geräusche hatte sie schon als Kind geliebt und sich nie gefürchtet. Nicht einmal,
wenn ein Gewitter über dem See aufgezogen war, mit Wolken so schwarz wie Tinte.
Dann hatten sie und die Tante Kathi sich aneinander gekuschelt wie Kätzchen und
die Blitze gezählt, auf die jedes Mal ein Donnern folgte, dass die Berge ringsum
zu wackeln schienen. Nie hatte sie wirklich Angst gehabt. Aber jetzt … Sie hielt
das Handy in ihren Händen, die ganz kalt waren. Drei Anrufe von Anita, einer von
ihrer Mutter aus Mallorca, vermeldete das Display. Sie hatte nicht vor, zurückzurufen.
Sie hatte Wichtigeres zu tun. Raffi hob nicht ab, dabei war er jetzt bestimmt schon
oben im Schloss bei seiner grässlichen Familie. Ausgerechnet als diese beiden Polizisten
im Haus waren, hatte er sich endlich gemeldet, das Herz war ihr beinahe stehen geblieben.
Zum Glück hatte niemand etwas bemerkt, nur die Tante Kathi hatte sie nachher so
neugierig angeschaut, aber nicht weiter nachgefragt. Sie hätte ihr auch gar nichts
erzählen können.
    Der Raffi
war den ganzen Tag durchgefahren aus Dubrovnik, wo er und der Milo ein Jazzfestival
im nächsten Jahr organisieren wollten. Jetzt war er endlich zurückgekommen, endlich
wieder zu Hause. Obwohl, ›zu Hause‹ war wohl nicht die richtige Beschreibung, so
wie der Raffi sein Elternhaus immer verabscheut hatte. »Der Miles Davis hat mir
das Leben

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