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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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…«
    »Also, der
Gleinegg war kein Nazi, das geht aus den Akten eindeutig hervor. Er hat zunächst
in der Wehrmacht gedient, ist dann allerdings sehr rasch ins Oberkommando berufen
worden. Das hat ganz bestimmt mit seinem Namen und mit Protektion zu tun gehabt.
Aber man hat ihm nie Kriegsverbrechen zur Last gelegt. Er war nicht einmal Mitglied
der NSDAP.« Wie doch die meisten hier, hätte Pestallozzi beinahe gesagt. »Allerdings
…«, Pestallozzi seufzte, »es hat da diesen Querverweis in den Unterlagen gegeben.
Ich glaube, es war ein Cousin vom Gleinegg, der dürfte in die Arisierung der jüdischen
Anwesen am See verstrickt gewesen sein. Damals haben ja ein paar der schönsten Villen
ihre Besitzer gewechselt.«
    »Eben!«
Grabner lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Eben! Und jetzt stellen Sie sich einmal
vor, die Journaille bekommt Wind von dieser ganzen Sache und zählt zwei und zwei
zusammen. Dann haben wir doch den nächsten Skandal! Was glauben Sie, was das für
eine Story wird! Fürst ermordet, seine Familie in die Arisierung von jüdischem Eigentum
verstrickt, die Vergangenheit holt uns alle wieder einmal ein.« Grabner hielt inne
und blickte sehnsüchtig auf die halb leere Schnapsflasche zwischen ihnen, dann schüttelte
er den Kopf. »Die Museen in Wien müssen doch derzeit ihre besten Stücke zurückgeben,
wenn das so weitergeht, dann muss man bald nach Chicago fliegen, wenn man sich einen
Klimt anschauen will. Nicht, dass wir uns missverstehen, Kollege Pestallozzi. Die
Nazis und alles, was da heute wieder aus den Löchern kriecht, sind mir zutiefst
verhasst! Aber andererseits, irgendwann muss Schluss sein. Dieses ewige Aufrechnen
bringt doch nichts mehr.«
    Pestallozzi
starrte ebenfalls auf die Schnapsflasche. So leicht hatte er sich heute Morgen gefühlt,
beim Rasieren und nachher, als er im Sonnenschein durch die Stadt geschlendert war.
Aber die Leichtigkeit war verflogen. Die Vergangenheit hatte sich wieder einmal
herabgesenkt, wie eine schwarze Krähe, die auf einem Rapsfeld gelandet war.
    »Also, um
zu einem Ende zu kommen, Pestallozzi. Kümmern Sie sich um diese jungen Amis und
stellen Sie fest, ob es irgendeinen Kontakt zum Gleinegg gegeben hat. Aber um Himmels
willen, behandeln Sie die Sache wie ein rohes Ei! Es darf nicht den allerkleinsten
Anlass zur Beschwerde geben!«
    Pestallozzi
nickte und wartete ab. Irgendwo draußen klingelte ein Telefon, dann war es wieder
so geisterhaft still, wie es nur in Amtsräumen am Wochenende sein konnte.
    »Das wär’s!«
    Grabner
nickte zum Abschied. Er sah plötzlich sehr müde und zerknittert aus. Pestallozzi
hätte ihn am liebsten nach dem Lieblingswitz der zukünftigen Frau Minister gefragt,
nur um den Präsidenten nicht in diesem Zustand zurückzulassen. Aber natürlich tat
er es nicht. Er stand auf und nickte seinem Vorgesetzten zu, dann verließ er das
Büro und schloss leise die Tür hinter sich.
    Er ging
über den Flur zu seinem eigenen Büro und blieb kurz im Türrahmen stehen, um das
Durcheinander aus Aktenstapeln und Wurstsemmelkrümeln zu mustern. Dann trat er ans
Fenster und sah zum Schloss Mirabell hinüber, wo der Erzbischof und seine Mätresse
mit ihrer Kinderschar gelebt hatten, ganz offiziell. Heutzutage wäre das undenkbar.
Heute bezahlte die Kirche stillschweigend Alimente für die unehelichen Kinder der
Pfarrer, solange die ihre Unkeuschheit nicht an die große Glocke hängten und lieber
heimlich in Lüge lebten. Pestallozzi starrte zum Fenster hinaus. Es war, als ob
der entscheidende Faden zur Lösung des Falles direkt vor seiner Nase baumeln würde.
Er brauchte nur danach zu greifen und anzuziehen, und der ganze Knäuel würde sich
auflösen. So wie die alten Wollsocken, die seine Großmutter aufgetrennt hatte, um
etwas kratziges Neues daraus zu stricken, das weder die Moni noch er hatten tragen
wollen. Aber immer, wenn er die Hand ausstreckte, griff er ins Leere.
     
    *
     
    Die Nebelschwaden krochen vom See
über die Uferpromenade hinauf in den Ort. Wie der Schleim aus einem Gruselfilm wälzten
sie sich durch die winkeligen Gassen und würden sehr bald auch noch die hartnäckigsten
Touristen vertreiben. Ende November begann dann das Remmidemmi rund um den Weihnachtsmarkt,
dann kamen wieder die Busse von weit her und brachten Trubel und Lachen und Leben
mit. Aber die langen Wochen bis dahin …
    Krinzinger
drehte eine langsame Montagmorgenrunde durch den Ort – seinen Ort – und registrierte
jede Kleinigkeit. Die Mistkübel an

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