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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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Autos und harte Drinks an der Bar. Krinzinger musste
beinahe laut lachen, wenn er an den naiven Deppen dachte, der er einmal gewesen
war. Und jetzt hockte er schon seit bald 20 Jahren in diesem handtuchgroßen Wachzimmer
mit dem mausgrauen Teppichboden und dem Drehsessel, der ihm demnächst einen Bandscheibenvorfall
einbringen würde, und plagte sich mit dem Gezänk von ein paar Dutzend Familien herum.
Und mit Schwanenfamilien. Und mit dem Gleinegg. Und mit dieser Brandauer Evamarie,
die seit bald zwei Jahren die Wohnung über dem Wachzimmer bewohnte. Keine Hiesige,
sondern eine aus Tirol, die das Hutgeschäft von der Kuglerin gepachtet hatte, als
die wegen Arthritis hatte aufgeben müssen. Eine vordergründig unscheinbare Person,
aber ein stilles Wasser! Schon zweimal musste er die Brandauer verwarnen, weil sie
ihr Auto völlig ungeniert auf dem für die Einsatzfahrzeuge, also sprich seinen,
Krinzingers VW, reservierten Parkplatz abgestellt hatte. Seither lauerte ihm die
Brandauer heimtückisch auf und beutelte ihr Staubtuch ausgerechnet dann aus dem
Fenster, wenn er, Krinzinger, in seiner adretten Uniform direkt unter ihr die Tür
öffnete. Er hatte natürlich bereits ausgiebig über diese Respektlosigkeit nachgegrübelt,
aber noch keinen Paragrafen gefunden, mit dem er der Brandauer’schen hätte drohen
können. Noch dazu, wo sie seit ein paar Tagen da oben herumrumorte, als ob die Räuber
zu Gast wären. Na, die Dame würde schon noch in seine Gasse kommen!
    Krinzinger
bog von der Promenade ab und schritt allmählich eiliger durch die kurze Allee, die
ihn noch vom Wachzimmer trennte. Er hätte nicht so viel Kaffee trinken sollen in
der Früh. Ob sich da allmählich die Prostata meldete? Der Doktor drängte ihn schon
seit Längerem zu einer Untersuchung, aber allein der Gedanke daran war so peinlich,
dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. Vielleicht im nächsten Jahr.
    Krinzinger
war in Laufschritt verfallen, er eilte auf die Tür zum Wachzimmer zu und holte gleichzeitig
den Schlüssel aus der Hosentasche. Der Gmoser drehte natürlich gerade wieder eine
gemächliche Runde im Auto und nannte das Arbeit, den würde er sich auch demnächst
einmal vorknöpfen müssen. Im Postkasten, der neben dem Eingang hing, steckten die
obligaten bunten Zettel, obwohl doch groß und deutlich auf einem Schild ›Keine Reklame‹
stand. Ein Schreiben von der Gewerkschaft war auch noch dabei, und ein wattiertes
Kuvert mit dem Stempel vom ›Kaiserpark‹, komisch. Er sperrte auf und warf die Tür
hinter sich zu und knallte den Poststapel auf den Schreibtisch. Dann verschwand
Krinzinger dort, wohin auch der Kaiser zu Fuß gegangen war.
     
    *
     
    Er hatte immer gewusst, wo
sein Platz war. Wo er hingehörte.
    Überall
gab es einen schönen, warmen Platz für die paar Großkopferten. Und ein hartes Bankl
für die armen Leut, die viel mehr waren. Er hatte immer auf dem Bankl für die armen
Leut gesessen. Neben der Mutter. Die hatte gewusst, wo sie hingehörte. Auch wenn
sich ihr Blick ganz selten zur Seite verirrte, immer dann, wenn ER vorbeiging. Aber
ER hatte die Mutter nie eines Blickes gewürdigt.
    Und jetzt
saß er wieder da, und es war so klamm und kalt wie immer, wie damals, vor mehr als
drei Jahrzehnten. Die Rückenlehnen hatten noch immer die blank gewetzten hölzernen
Buckel im Nacken und in der Lendengegend. Damit man auch ja so richtig unbequem
saß und nur ja nicht einnickte beim Gottesdienst. Den armen Leuten war es sogar
in der Kirche verwehrt, ein wenig zu schlafen. Während der da vorne immerzu von
Sünde und Strafe predigte. Als ob die Sünde etwas wäre, was die armen Leute so furchtbar
gerne trieben, Tag und Nacht. Die Mägde und Stubenmädeln bei Nacht, wenn der Herr
ins Zimmer kam und sich nahm, was ihm zu gehören schien seit Generationen. Auf die
hatte es der da vorne im Ornat ganz besonders abgesehen, gar nicht aufhören konnte
er mehr, von der Sündhaftigkeit zu reden, die die Weiber in die Welt gebracht hatten.
Und die Mutter neben ihm war immer kleiner geworden und zusammengesunken, als ob
es für sie nie ein Himmelreich geben würde.
    Ein einziges
Mal hatte er sich vor vielen Jahren einmal nach vorne geschlichen, an einem grauen
Wochentag, als keine Menschenseele in der Kirche war. Er war vor der Bank ganz vorne
gestanden, deren Sitz mit roten Polstern belegt war, wahrhaftig. Dann hatte er einen
einzigen Schritt in die Bank hinein gewagt, das Herz hatte ihm geklopft, als ob
es ihm gleich die Brust

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