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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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Wunder, es war schon zwölf, und die Leute hatten Hunger. Aber er wollte
sich nicht noch einmal anstellen, dazu war ihm einfach die Lust vergangen. Er würde
sich irgendwo im Vorbeigehen eine Wurstsemmel mit Pfefferoni einpacken lassen und
ins Büro mitnehmen. Sein spartanisches Zimmer im Präsidium erschien ihm wieder einmal
als der einzig einladende Ort.
    Zwei Stunden
später sah sein Büro beinahe so gemütlich wie eine Studentenbude aus. Aktenberge
stapelten sich auf dem Fensterbrett, der Computer summte wie eine satte Hummel.
Pestallozzi hatte die Füße auf die Schreibtischplatte gelegt und die Arme im Nacken
verschränkt. Er hatte sich bereits zwei kleine Pappbecher mit Milchkaffee aus dem
Automaten am Gang geholt und die Wurstsemmel mit Pfefferoni verzehrt. Irgendwo im
Haus fiel eine Tür zu, aber sonst herrschten tiefe Stille und eine Atmosphäre, die
fast an Frieden grenzte. Hier, am Gang, wo die Morde aufgeklärt wurden. Oder besser
gesagt, aufgeklärt werden sollten. Also Schluss mit dem Getrödel! Pestallozzi schwang
die Füße von der Tischplatte und setzte sich wieder aufrecht hin. Gerade noch rechtzeitig,
denn vom Aufzug her waren Schritte zu hören, die rasch näherkamen. Die Tür wurde
aufgerissen, und der Präsident höchstpersönlich stand im Rahmen. An einem Samstagnachmittag!
Pestallozzi starrte auf seinen Vorgesetzten wie auf eine Vision.
    »Ah, da
sind Sie ja, Pestallozzi! Gut, dass ich Sie antreffe! Sehr schön, dass Sie keinen
Dienst nach Vorschrift machen!«
    Grabner
machte Anstalten, sich auf den einzig freien Sessel zu setzen, aber dann schüttelte
er den Kopf.
    »Wissen
Sie was, wir gehen besser in mein Büro!«
    Pestallozzi
stand auf und schlüpfte ins graue Jackett, das er über die Armlehne gehängt hatte.
Dann folgte er Grabner zu dem großen, elegant möblierten Raum am Ende des Flurs.
Grabner ließ ihn eintreten, dann drehte er sich noch einmal um und schloss die Tür,
eine für ihn ungewöhnliche Geste. Grabner legte normalerweise Wert darauf, für seine
Untergebenen stets ein offenes Ohr und ein offenes Büro zu haben, er pflegte sein
Image als jovialer Patron, der dem wilden Haufen Mordkommission vorstand. Aber heute
war offenbar Diskretion angesagt. Sie setzten sich zu beiden Seiten der glänzend
polierten Schreibtischplatte.
    »Meine Frau
hat mir erzählt, dass Sie ihr heute Vormittag auf dem Markt begegnet sind?«
    Pestallozzi
war höchst erleichtert, dass der Präsident selbst das Treffen ansprach. Jetzt musste
nur noch die Sache mit diesem Donnerstag-Cocktail geklärt werden. Er hatte nicht
die geringste Absicht, sich in einen Abendanzug, aber leger bitte, zu werfen und
in der Grabner’schen Villa zum Small Talk bei Häppchen aufzukreuzen. Bloß, wie sagte
man seinem Chef ab? Er räusperte sich.
    »Ja, und
Ihre Gattin war so freundlich, mich für Donnerstag einzuladen. Allerdings bin ich
durch die Ermittlungen sehr …«
    Grabner
wedelte mit der Hand eine unsichtbare Mücke fort. »Selbstverständlich sind Sie entschuldigt!«
    Damit war
das Thema Knigge abgehakt, sie atmeten beide auf. Grabner klatschte in die Hände,
dann stand er auf und ging zu der Biedermeieranrichte, die unter der Venedigzeichnung
von Paul Flora stand. Er bückte sich und holte eine Flasche Obstler und zwei Gläser
hervor. Whiskey hätte bestimmt besser zu diesem prächtigen Büro gepasst, aber Grabner
hielt eigensinnig an Bauernschnaps fest, das waren die unsichtbaren Gutpunkte, auf
die er bei Pestallozzi zählen konnte. Er kehrte an den Schreibtisch zurück, stellte
die Flasche und die Gläser ab und nahm wieder in seinem Armlehnsessel Platz. Pestallozzi
verfolgte Grabners Geschäftigkeit mit wachsender Unruhe. Gab es irgendein Datum,
das er übersehen hatte? Einen Geburtstag, eine Beförderung? Na ja, er würde es gleich
erfahren. Grabner beugte sich über den Schreibtisch und senkte die Stimme, als ob
sie von Spitzeln umgeben wären.
    »Sie wissen
ja, dass ich gestern in Wien war, Kollege Pestallozzi?«
    Pestallozzi
hatte keine Ahnung, aber Grabner redete sowieso schon weiter.
    »Und ich
habe Ihnen doch beim letzten Mal angedeutet, dass sich gewisse Änderungen anbahnen
könnten, nicht wahr? Also, es wird sowieso heute Abend in allen Nachrichten sein,
das heißt, höchstwahrscheinlich kommt die offizielle Meldung schon um 17 Uhr. Der
Herr Minister ist gerade beim Bundespräsidenten und reicht seine Demission ein.
Und dann, Kollege Pestallozzi, dann …«
    Grabner
erhob ein Schnapsglas und deutete

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