Blutiger Klee: Roman (German Edition)
auf das andere, Pestallozzi griff danach. Der
Präsident stand ganz eindeutig davor, eine Bombe platzen zu lassen, er grinste über
das ganze Gesicht.
» … dann
bekommen wir eine Frau Minister!«
Pestallozzi
stand die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. Als Sohn einer alleinerziehenden
Mutter und Bruder einer kleinen Schwester war die Gleichberechtigung der Geschlechter
für ihn von Kindheit an eine solche Selbstverständlichkeit gewesen, dass er nie
die Erbitterung verstanden hatte, mit der manche Frauen und Männer um dieses Thema
stritten. Männer konnten keine Kinder bekommen, das war der einzige Unterschied,
den Pestallozzi gelten ließ. Und doch … eine Frau an der Spitze des Innenministeriums,
des allerheikelsten Ressorts? Verantwortlich für Polizei und Geheimdienst? Würde
sie sich gegen die alten Seilschaften und Betonköpfe durchsetzen können? Andererseits,
wenn man sich daran erinnerte, wie viele unfähige Marionetten und Günstlinge bereits
auf diesem Sessel gesessen hatten, dann konnte es diese Frau nur besser machen.
Sie würde wenigstens keinem der Männerbünde verpflichtet sein, die dieses Land noch
immer mit ihrem Spinnennetz aus Protektion überzogen. Er hielt sein Glas in die
Höhe, sie prosteten einander zu und tranken den Schnaps mit einem Zug. Grabner schnaufte
wohlig.
»Sie kennen
sie übrigens, Pestallozzi, es ist die …«
Er nannte
einen Namen, der Pestallozzi durchaus bekannt vorkam. Es war eine Frau, die er schon
öfters in Diskussionsrunden gesehen hatte, eine resolute Blondine, die sich ganz
bestimmt Gehör zu verschaffen wusste.
»Unsere
neue Frau Minister ist mir ja schon seit Längerem persönlich bekannt«, schwadronierte
Grabner gerade weiter – Pestallozzi hatte auch gar nichts anderes erwartet. »Und
ich sage Ihnen, Kollege, diese Frau kann Witze erzählen, also da würden Sie noch
rot werden beim Zuhören, das kann ich Ihnen versichern!«
Pestallozzi
lächelte pflichtschuldigst. Hoffentlich erzählte Grabner jetzt nicht einen der Witze,
die er von der zukünftigen Frau Minister gehört hatte. Mit schlüpfrigen Witzen hatte
Pestallozzi seine liebe Not, er wartete stets noch auf die Pointe, wenn die anderen
sich schon längst auf die Schenkel klopften. Aber Grabner musste sowieso noch eine
weitere Information loswerden. »Und wissen Sie, was das außerdem bedeutet, Pestallozzi?
Hä? Das wird gerade Sie freuen! Der Woratschek nämlich, den haben sie bereits nach
Wien zurückbeordert. Der war doch das persönliche Schoßhündchen vom Minister, dieser
intrigante Speichellecker! Also, von dem haben wir nichts mehr zu befürchten!« Grabner
schenkte ihnen ein zweites Schnapserl ein und grinste über das ganze Gesicht. »Der
kann jetzt Akten abstauben oder die Klopapierrollen zählen! Nasdarowje!«
Sie grinsten
sich zu und kippten auch den zweiten Schnaps ex. Dann wurde Grabner plötzlich ernst.
Sehr ernst.
»So, und
nun gilt es noch etwas zu besprechen, Kollege Pestallozzi, unter vier Augen. Eine
wirklich haarige Angelegenheit. Es hat in Wien extra eine Sitzung dazu gegeben,
nur im allerengsten Kreis.«
Grabner
sah zur geschlossenen Tür, dann blickte er nach links und nach rechts, als ob Spione
in Wichtelgröße unter der Anrichte und hinter dem Ficus Benjamini lauern könnten.
»Die Kollegen
in Wien haben nämlich eine Information an mich weitergeleitet.« Er senkte die Stimme.
»Also, es ist so, dass eine Gruppe junger Juden in der Dependance vom ›Kaiserpark‹
abgestiegen ist. Das heißt, eigentlich sind es ja Amerikaner, aber lauter Nachfahren
von Deutschen und Österreichern, die 1938, nun ja, auswandern mussten. Oder, noch
schlimmer, die im KZ umgekommen sind. Und diese Kinder, das heißt, es sind schon
mehr die Enkel, machen so eine Art Tour durch die alte Heimat. Und in diesem Verlauf
machen sie ausgerechnet jetzt bei uns Station. Es ist auch noch zu keinerlei, wie
soll man sagen, Reminiszenzen oder Ansprüchen gekommen, allerdings …«
Grabner
fuhr sich mit dem Daumen zwischen Hals und Hemdkragen, offenbar war ihm der Krawattenknoten
plötzlich zu eng geworden. Pestallozzi begann zu begreifen.
»Sie meinen,
es könnte einen Zusammenhang zum Fall Gleinegg geben?«
Grabner
hörte auf, an seinem Hemdkragen zu zerren und hob beschwörend die Hände.
»Gott behüte!
Davon war doch keine Rede, Pestallozzi, was legen Sie mir da in den Mund! Nein,
es könnte nur eben sein, dass durch die alten Geschichten eine gewisse Sensibilisierung
in diese Richtung
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