Blutiger Klee: Roman (German Edition)
zwischen den langen Tischen hindurch
und an den Waschbecken vorbei, in denen Hackbretter und Töpfe zum Schrubben lagen.
Edi Schmutz folgte ihnen gemessen mit einem Schritt Abstand, wie ein Museumsdirektor,
der für die Fragen der hohen Gäste bestens gewappnet war. Vor einem Messerblock
blieb Pestallozzi stehen. »Darf ich?«
Er zog ein
langes schmales Messer mit einem schwarzen Griff aus dem Holzblock, die Klinge sah
so scharf wie Silberfolie aus. In der Küche war es vollkommen still, nur irgendwo
simmerte eine Flüssigkeit.
»Schönes
Gerät, das Sie da haben«, sagte Pestallozzi.
Edi Schmutz
zuckte ein wenig geringschätzig mit den Achseln. »Das sind ganz normale Küchenmesser,
die können Sie in jedem besseren Haushaltsgeschäft kaufen. Aber jetzt zeige ich
Ihnen etwas wirklich Besonderes.«
Er ging
zu einer Anrichte, auf der Fische zum Filetieren bereit lagen, und zog die oberste
Lade auf. Er griff hinein und holte eine Stoffrolle heraus, die er auf die Arbeitsfläche
legte. Dann begann er den Stoff vorsichtig aufzuwickeln und nach jeder Drehung ein
Messer aus einer der eingenähten Taschen zu nehmen. Schließlich lagen sechs Messer
auf dem Tuch, wie die Orgelpfeifen, vom kleinen kompakten über geriffelte und gewellte
bis zu einer Klinge, die aussah wie ein Samuraischwert. Jedenfalls stellte sich
Leo so die Messer vor, mit denen diese Verrückten da drüben früher Harakiri begangen
hatten.
»Das sind
japanische Sonderanfertigungen«, sagte Edi Schmutz, er konnte den Stolz nicht ganz
aus seiner Stimme verbannen. »Nach meinen ganz persönlichen Vorstellungen hergestellt
und geschliffen. Fast alle Chefköche lassen sich solche Messer anfertigen. Sie sind
natürlich nur für meinen eigenen Gebrauch bestimmt.«
Natürlich,
dachte Leo. Kein Mensch, der seine sieben Sinne beisammen hatte, würde ein Messer
vom Edi Schmutz zum Kartoffelschälen entwenden.
»Das habe
ich nicht gewusst«, sagte Pestallozzi. »Wirklich sehr interessant.« Er ließ den
Blick schweifen. »Aber Sie haben doch bestimmt auch ganz normale Küchenutensilien
in Verwendung. Plastikschüsseln oder Vorratsdosen. Oder billige kleine Messer zum
Beispiel.«
Edi Schmutz
zuckte mit keiner Wimper. »In einer Küche kommt allerhand zusammen.«
Gleich kommt’s,
dachte Leo. Gleich wird der Chef die Tüte mit dem Messer von mir verlangen und in
die Höhe halten, und dann möchte ich mal sehen, wie …
»Ist der
Fabian Loibner da?«, fragte Pestallozzi. »Den hätte ich gerne gesprochen.«
Einen Herzschlag
lang dachte Leo, dass der bullige Edi Schmutz nach der Anrichte greifen würde, um
nicht umzukippen. So erschüttert sah er drein. Angezählt nannte man das beim Boxen.
Endlich rappelte er sich wieder zusammen, unter seiner Kochmütze waren kleine Schweißperlen
aufgetaucht.
»Was wollen
Sie denn vom Fabian? Hat er was ausgefressen?«
»Gar nichts!«
Pestallozzi hob beschwichtigend die Hände. »Wir brauchen nur eine Auskunft von ihm.«
Edi Schmutz
deutete zu einem Abwaschbecken, an dem sich ein Bursch zu schaffen machte, der wie
die anderen eine fast knöchellange Schürze über der Hose trug. Er war der Einzige
im Raum, der ihnen den Rücken zuwandte, das fiel Leo gerade auf. Offenbar rieb er
mit aller Kraft eine Pfanne sauber.
»Fabian,
komm her!«
Aber der
Fabian schien seinen Chef nicht zu hören, alle anderen im Raum hielten den Atem
an. Pestallozzi machte eine beschwichtigende Bewegung zu Edi Schmutz und ging zu
dem Abwaschbecken hinüber, Leo hinterdrein.
»Fabian
Loibner?«, fragte Pestallozzi freundlich.
Der Bursch
sah hoch, so erschrocken, als ob Pestallozzi eine Pistole statt einer Frage auf
ihn gerichtet hätte. Irgendwie kam er Leo bekannt vor. War das nicht der Lehrling,
der beim letzten Mal vom Schmutz so zusammengestaucht worden war? Die arme Socke.
Noch dazu war er mit einer Akne geschlagen, die wirklich zum Fürchten aussah. Rote
und gelbeitrige Pusteln überzogen seine Stirn, die Wangen und das Kinn. Ein paar
davon hatte er offenbar aufgekratzt, die sahen wie entzündete Krater aus. Leo starrte
in das Gesicht vom Fabian Loibner. An was erinnerte ihn das bloß? An wen? Natürlich,
Leo zuckte beinahe zurück. An die Geschichte, die diese Henriette Gleinegg erzählt
hatte. Von ihrer Schwester. Und ihrer Tante. Und dieser geheimnisvollen Krankheit.
Leo machte einen kleinen Schritt zurück. Ausgerechnet hier in diesem Haus hatte
er Würstel gegessen! Wenn die nur nicht dieser Fabian aus dem Wasser genommen und
auf den
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