Blutiger Klee: Roman (German Edition)
oder einen frisch gepressten
Orangensaft?«
»Vielen
Dank!«
Pestallozzi
schüttelte den Kopf, Leo hielt das für übertriebene Zurückhaltung. Dann ließen sie
sich auf Fauteuils in der Nähe der Rezeption nieder. Italienische Kids tollten durch
die Halle, zwei ältere amerikanische Paare gingen vorbei, die Männer in groß karierten
Hosen wie auf dem Golfplatz. Ihre Frauen unterhielten sich offenbar über ein Konzert,
das sie gestern Abend gesehen hatten. »Mozart is such a genius …«
Leo fand
es immer wieder aufs Neue komisch, dass Menschen aus aller Welt anreisten, um zu
bestaunen, was für ihn selbstverständlich war. Die Stadt und die Seen rundum, Mozartkugeln
und Mozarts Geburtshaus, das Weiße Rössl. Salzburg im Sommer war wie ein Ameisenhaufen,
über jeden Stein und jeden Hügel krabbelten Touristen. Ganz selten, für einen kurzen
Augenblick, war er dann richtig stolz auf seine Heimat. Aber meistens fand er das
Gewimmel nur mühsam. Seine Vorstellung von einem Traumurlaub war es sowieso, auf
einer Harley durch Australien zu düsen, zum Ayers Rock und retour, und anschließend
ein kühles Bier in Sydney und eine heiße Nacht mit der Gewinnerin vom landesweiten
Wet-T-Shirt-Wettbewerb. Hasta la vista, baby!
Der Mann,
der auf sie zukam, sah entschieden mehr nach trockenem Weißwein als nach Bier aus.
Einer, der bestimmt so affig das Glas schwenkte und am Inhalt roch und dann mit
dem ersten Schluck endlos gurgelte, bevor er Unsinn von sich gab à la ›Erdiger Abgang‹
oder ›Fruchtnote mit einer Prise Zimt, eine Spur zu säuerlich‹. Manches Mal war
Leo echt froh, dass der Chef das Reden besorgte. Sie standen auf und schüttelten
einander die Hand, Vizedirektor Blücher begrüßte sie mit einem bedauernden Lächeln.
»Meine Herren,
ich bin leider mitten in einer Besprechung mit meinem Team. Wir planen gerade einen
Ayurveda-Spa mit Klangschalenmassage. Als Haus dieser Größenordnung muss man einfach
einen Wellnessbereich der Extraklasse bieten. Aber ich stehe selbstverständlich
kurz zu Ihrer Verfügung. Es gibt doch hoffentlich kein ernsthaftes Problem?«
Er sah sich
bedeutsam um, aber die anderen Gäste in der Lobby waren allesamt mit sich und ihren
Anliegen beschäftigt. Nur zwei Frauen in Jogginganzügen bedachten die drei Männer
mit interessierten Blicken, ehe sie in den Aufzug stiegen. Vizedirektor Blücher
machte eine einladende Bewegung und zog die Hosenbeine seines Nadelstreifanzuges
einen Millimeter weit hoch, dann setzten sie sich alle drei.
»Herr Blücher,
wir werden Sie nicht lange aufhalten«, sagte Pestallozzi. »Aber es gibt neue Entwicklungen
im Fall Gleinegg, und ich muss deshalb in Ihrem Haus Befragungen durchführen. Selbstverständlich
diskret. Glauben Sie mir, ich kenne alle Ihre Bedenken und Einwände, die Sie jetzt
gerne anführen wollen. Aber ich leite nicht zum ersten Mal Ermittlungen an einem
so heiklen Ort und ich versichere Ihnen, dass Ihre Gäste nicht behelligt werden.
Außer es wird zwingend notwendig. Das wäre also geklärt. Und nun zu meiner Frage:
Ist bei Ihnen in der Küche ein gewisser Fabian beschäftigt?«
Blücher
hatte keine Miene verzogen. Als Topmanager war er darauf trainiert, mit den Widrigkeiten
der Branche umzugehen. Wasserrohrbrüche, randalierende Gäste, Edelnutten, Polizisten
im Haus. Nun sah er doch etwas irritiert, aber noch nicht erschrocken drein.
»Fabian?
Das kann eigentlich nur der Fabian Loibner sein, der ist bei uns Lehrling im zweiten
Jahr. Ich habe das Aufnahmegespräch mit ihm sogar selbst geführt. Ein netter Bursche,
würde ich ganz spontan sagen. Im zweiten Lehrjahr kann man ja noch nicht wirklich
beurteilen, ob so ein Jugendlicher die nötige Ausdauer besitzen wird. Aber der Edi
Schmutz, unser Chefkoch, meint, dass der Fabian durchaus das Talent zum Patissier
hätte.«
Ein Knirps
in funkelnagelneuer Lederhose rannte vorbei, seine japanische Mutter hinterdrein.
Blücher nickte der Frau grüßend zu, dann blickte er wieder auf Pestallozzi, nun
konnte er seine Besorgnis doch nicht mehr ganz verbergen. »Hat der Fabian etwas
angestellt? Er wird doch nicht etwa in diesen Fall verwickelt sein?«
Pestallozzi
schüttelte den Kopf. »Davon gehen wir nicht aus. Aber ich muss ihm ein paar Fragen
stellen. Ist er da?«
»Mir ist
nichts Gegenteiliges bekannt. Wir haben zwar derzeit einige Krankmeldungen, aber
das ist nicht außergewöhnlich am Ende der Hauptsaison. Da sind die Leute einfach
ausgepowert. Gastronomie ist ein
Weitere Kostenlose Bücher