Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Knochenjob.«
»Das kann
ich mir gut vorstellen«, sagte Pestallozzi und erhob sich, Leo machte es ihm nach.
Blücher stand ebenfalls auf.
»Ach ja«,
sagte Pestallozzi. »Eine Frage hätte ich noch. Verwenden Sie für Ihre Postsendungen
eigentlich Stempel?«
Blücher
verstand offenkundig nur mehr Bahnhof. »Stempel? Sie meinen diese altmodischen Geräte
mit Griff und Stempelkissen? Nein, natürlich nicht, bei uns läuft die gesamte Etikettierung
über Computer.«
»Das habe
ich mir gedacht. Aber es könnte doch sein, dass sich in irgendeinem Büro noch ein
paar alte Stempel finden lassen, oder?«
»Nun ja,
möglicherweise. Ich kann es natürlich nicht hundertprozentig ausschließen.«
Vizedirektor
Blücher sah drein, als ob Pestallozzi die Existenz von Mäusen im Speisesaal angedeutet
hätte. Pestallozzi schien es nicht zu bemerken.
»Dann werden
wir einmal schauen, ob wir den Fabian Loibner finden!«
»Darf ich
Ihnen den Weg zur Küche zeigen? Sie können selbstverständlich eines der Büros benutzen,
um …«
»Danke,
wir kennen den Weg bereits«, sagte Pestallozzi freundlich. »Sollten wir noch Fragen
haben, dann werden wir Sie umgehend kontaktieren. Einstweilen sehr herzlichen Dank
für Ihr Entgegenkommen.«
Blücher
stand da und rang um eine Haltung, die Überblick und Contenance ausdrücken sollte,
die jungen Frauen an der Rezeption schauten neugierig herüber. Er griff in seine
Jacketttasche und nestelte eine Visitenkarte aus einem silbernen Etui. »Unter dieser
Nummer bin ich 24 Stunden zu erreichen. Wann immer Sie etwas benötigen, lassen Sie
es mich bitte wissen.«
»Danke«,
sagte Pestallozzi nochmals. Leo nahm die Visitenkarte entgegen und steckte sie in
seine hintere Hosentasche. Dann gingen sie wieder durch den langen Gang über den
dicken Teppich, an der Rezeption vorbei und den Toiletten. Goldfarbene Figuren prangten
an den weiß lackierten Türen, eine Dame in geraffter Krinoline und ein Herr im Gehrock.
Ganz am Ende des Ganges waren Geklapper und Stimmen zu hören und das Brummen einer
großen Maschine. Sie passierten die breite Flügeltür und standen in der Hotelküche.
Diesmal ging es entschieden geschäftiger zu als bei ihrem letzten Besuch. Offenbar
wurde gerade das Abendessen vorbereitet, es roch nach scharf angebratenem Fleisch,
wahrscheinlich Lamm, und Brokkoli. Zitroniger Dunst waberte durch den Raum, als
eine Frau mit Gummihandschuhen die Tür des riesigen Geschirrspülers öffnete. Zwei
Mädchen mit weißen Kopftüchern schnitten Wurzelwerk in Streifen so dünn wie Fäden,
ein drittes füllte gerade einen Spritzsack mit einer Masse, die aussah wie Gemüsemayonnaise.
Leo hatte den Eindruck, dass sich mindestens ein Dutzend Menschen in der Küche aufhielten,
jeder für sich vollkommen konzentriert beschäftigt. Und doch würde aus diesem Chaos
am Ende ein Menü werden, oder Speisen à la carte, einfach rätselhaft.
Edi Schmutz
stand mit dem Rücken zu ihnen und schien einem jüngeren Mann etwas zu erklären,
es ging offenbar um eine silberne Form, die der gerade aus einem Wasserbad hob.
Dann schien er die Veränderung in seinem Rücken zu fühlen, die Blicke und die Stimmen
seiner Leute, die um eine Nuance leiser wurden. Er drehte sich um und hielt eine
Sekunde lang inne, dann kam er auf die Besucher zu. Er trug als Einziger eine hohe,
gestärkte weiße Mütze, die unerklärlicherweise nicht ins Rutschen geriet, eine schwarz-weiß
karierte Hose und ein langärmeliges, tunikaartiges weißes Hemd, das bis zum Kragen
hinauf zugeknöpft war. Außerdem ein weißes Tuch, das er um den Hals geschlungen
und vorne zweimal verknotet hatte. Leo stand schon der Schweiß auf der Stirn, wenn
er den Mann nur ansah.
»Wieder
einmal zu Gast in meiner Küche?«
Der Küchenchef
klang nicht wirklich aggressiv, aber auch nicht wirklich freundlich. Leo merkte
zum ersten Mal, wie massig der Edi Schmutz war. Den sollte man bei einer Wirtshausrauferei
nicht unbedingt als Gegner erwischen.
»Wir würden
uns gerne ein wenig umsehen«, sagte Pestallozzi und nickte freundlich in die Runde.
»Wenn Sie nichts dagegen haben.«
Natürlich
war es vollkommen ohne Bedeutung, ob irgendwer im Raum etwas dagegen hatte, Leo
wippte kämpferisch auf den Fersen. Aber die kleinen Höflichkeiten vom Chef machten
es anderen Menschen möglich, das Gesicht zu wahren. Edi Schmutz wies großzügig mit
dem Kinn hinter sich.
»Bitte sehr,
schauen Sie sich um.«
Pestallozzi
und Leo gingen langsam in die Küche hinein,
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