Blutiger Klee: Roman (German Edition)
da, diese Anna. Na gut, das war möglicherweise die Gelegenheit,
um sich endlich einmal ganz allein als Ermittler zu präsentieren und nicht immer
nur stumm dazusitzen wie der Wurmfortsatz vom Chef. Aber andererseits, die beiden
Frauen waren wirklich harte Brocken, so freundlich und nett die auch taten. Ihm
wurden jetzt schon die Handflächen feucht bei dem Gedanken, ihnen in dieser engen
Wichtelstube ganz allein gegenüberzusitzen. Und außerdem wurde er das Gefühl nicht
los, dass der Chef ihn regelrecht hatte fortschicken wollen. Leo, ich habe noch
ein paar Fragen im ›Kaiserpark‹, dann komme ich nach zur Luggauerin. Was für Fragen,
bitte schön? An wen, bitte schön? Leo kickte einen Kieselstein zur Seite, dass der
zwei Meter weit flog.
Pestallozzi
hatte an der Rezeption vom ›Kaiserpark‹ nachgefragt, jetzt ging er durch den Garten
hinter dem Haus hinüber zur Dependance. Der Garten war eigentlich fast schon ein
Park, mit gepflegten Rasenflächen und Blumenrabatten und Kieswegen, an denen altmodische
Bänke standen wie im Schlosspark von Schönbrunn. Nur die frechen Eichkätzchen von
Schönbrunn fehlten, die Iris mit Haselnüssen gefüttert hatte, als sie vor Jahren
ihr letztes gemeinsames Wochenende in Wien verbracht hatten. Anschließend hatte
sie ihn durch das riesengroße dottergelbe Schloss geschleppt und vor jedem Gemälde
von dieser Kaiserin Sisi abwechselnd geseufzt und spitze kleine Schreie vor Entzückung
ausgestoßen. Genauso wie die geschätzten tausend Japanerinnen im Pulk. Er hingegen
hatte diese Sisi einfach nur grauenvoll gefunden. Eine Diätsüchtige, die ihre Kinder,
ihren Mann und auch ihr Volk im Stich gelassen und sich hauptsächlich der Pflege
ihrer meterlangen Haare gewidmet hatte. »An meinen Haaren möcht‹ ich sterben …«
oder so ähnlich. Überspannte Urschel! Aber wieso war sie ihm gerade jetzt eingefallen?
Pestallozzi schüttelte über sich selbst den Kopf.
Das Haupthaus
vom ›Kaiserpark‹ war einst eine der größten Villen im Ort gewesen. Im pompösen Zuckerbäckerstil
von 1900 erbaut mit Türmchen und Erkern und Veranden, auf denen die Damen mit ihren
wagenradgroßen Hüten den Tee eingenommen hatten, an der Rezeption konnte man Ansichtskarten
mit solchen und ähnlichen nostalgischen Motiven erstehen. Die Dependance hingegen
war ein hypermoderner Glaswürfel, der immer wieder in Architekturzeitschriften erwähnt
wurde. Auf der Wiese davor standen weiße Liegen rund um einen kleinen Pool, der
aber offenbar nicht zum Schwimmen, sondern nur als erfrischender Anblick gedacht
war. Eine Gruppe von jungen Leuten lagerte auf der Wiese in der Oktobersonne, manche
lagen im Gras und hatten die Ohren zugestöpselt und schienen dösend der Musik zu
lauschen, aber die meisten alberten und balgten herum, ein junger Mann und zwei
Mädchen machten sich an einem elektrischen Grillofen zu schaffen. Sie unterhielten
sich alle auf Englisch, mit eindeutig amerikanischem Akzent.
Pestallozzi
blieb stehen und betrachtete die jungen Leute. Wie groß und stark und gesund die
aussahen! Er musste an die Footballspiele denken, die manchmal spät in der Nacht
liefen, wenn er den Fernseher beim Nachhausekommen noch einschaltete. Junge Amerikaner
kamen ihm immer irgendwie größer und breitschultriger und sportlicher als junge
Europäer vor, dabei war Fettleibigkeit angeblich eines der größten Probleme in Amerika.
Arnold Schwarzenegger, den Österreich glücklich nach Kalifornien exportiert hatte,
rief seine neuen Landsleute doch ständig zum Hantelschwingen auf. Also, diese jungen
Amis hier auf der Wiese vom ›Kaiserpark‹ wirkten so gesund und fit wie Hochleistungssportler.
Er stand
da und sah sich ein wenig unschlüssig um, dann entdeckte er die Frau auf den Stufen
zur Dependance, die ihn offenbar seit Längerem beobachtete und nun leicht nickte.
Er ging auf sie zu.
»Herr Pestallozzi?
Ich bin Traudl Liebermann. Man hat mir Ihr Kommen schon angekündigt! Wollen wir
uns in die Lobby setzen? Dort ist es ein bisschen leiser.«
Sie ging
voran und steuerte zwei bequeme Sessel an, die mit einem hellen Tweedstoff überzogen
waren. Ein niedriger Tisch stand zwischen ihnen. Von der Wiese mit den jungen Leuten
trennte sie nur eine Wand aus Glas, in ihrem Rücken ging der Raum hell und luftig
weiter bis zu einem riesigen roten Gemälde an der rückwärtigen Wand, das aussah
wie ein Schüttbild von Hermann Nitsch.
Traudl Liebermann
lächelte ihm zu und wies auf einen der beiden Sessel wie eine
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