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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Faro
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aus dem Fernsehen kannte, mit einem doppelten
Doktortitel davor. Der Professor war offenbar eine internationale Kapazität auf
dem Fachgebiet der Haut- und Geschlechtskrankheiten und entsprechend schwer zu erreichen.
Gestern hatte er an einem Kongress in Leipzig teilgenommen, morgen Abend wollte
er nach Boston fliegen. Gerade hatte das Telefon geklingelt und seine Sekretärin
war am Apparat. Der Herr Professor würde pünktlich um elf Uhr seine Vorlesung an
der Uniklinik Innsbruck halten, dann nach Salzburg in seine Privatordination kommen,
wo er um 16 Uhr den Herren von der Polizei zur Verfügung stehen würde. Um 16 Uhr
30 müsste er dann allerdings dringend weiter nach …
    »Das passt
ganz wunderbar«, sagte Pestallozzi liebenswürdig. »Haben Sie vielen Dank für Ihre
Mühe.«
    Er stand
auf und streckte sich, sein Rücken fühlte sich an wie aus Beton. Ob er nicht doch
wieder einmal ins Hallenbad schauen sollte? Früher war er richtig gerne geschwommen
und hatte sich anschließend in die Finnische Sauna gesetzt. Na, mal sehen. Er ging
zu Leos Büro und klopfte pro forma an den Türrahmen. Leo hockte vor dem Computer
und plagte sich offenbar gerade mit dem Formulieren irgendeiner Antwortmail ab,
eine steile kleine Falte stand zwischen seinen Augenbrauen.
    »Wir haben
erst um vier den nächsten Termin. Wie wär’s mit einer kleinen Spritztour?«
    Sein junger
Kollege blickte auf und sah so erleichtert drein, dass Pestallozzi beinahe lachen
musste. Aus Leo würde nie und nimmer ein Schreibtischhengst werden. Aber von denen
gab es sowieso genug.
    20 Minuten
später fuhren sie über die lange Kurve hinaus aus der Stadt, rechts ragte der Gaisberg
in den blau getupften Herbsthimmel. So lange hatte dieser Sommer gedauert, als ob
er sich nie wieder verabschieden wollte. Aber jetzt begannen sich die Buchen und
Ahornbäume endlich zu verfärben, bald würden die Hänge bis weit hinauf tiefrot und
golden schimmern. Zwischen Strobl und Bad Ischl gab es einen kleinen See, der dann
dalag wie ein klares Wasser in einem Indianerreservat in Kanada. Pestallozzi hatte
diesen See schon als Kind heiß geliebt und war seither in jedem Herbst hinaufgefahren.
Ein schmaler Weg führte rundherum, an seinem Ende lag eine grob aus Baumstämmen
gezimmerte Hütte, wo man auf einen Krug Most oder einen Tee mit Schnapserl einkehren
konnte. Aber in diesem Jahr verspürte er keine Lust, dort zu rasten und den Blick
auf das spiegelglatte Wasser zu genießen. Ein blitzgescheites, lustiges junges Mädel
war von seinem Stiefvater erschlagen und anschließend ganz nah bei dem kleinen See
vergraben worden, nur weil sich der an der Mutter hatte rächen wollen. Eine Tat
von solch sinnloser Grausamkeit, dass selbst die abgebrühtesten Beamten erschüttert
am Tatort gestanden waren.
    Wieder war
ein vollkommener Ort zerstört worden, ein Ort der Unschuld. Das hatte er schon so
oft erleben müssen, viel zu oft. Wäldchen wie aus dem Märchenbuch, in denen Kinderleichen
verscharrt lagen. Fotos, die von glücklichen Familien erzählten, dabei legte das
Böse gerade seine Hand auf die Schultern des angestrengt lachenden Kindes. Immer
öfter fiel es ihm so unendlich schwer, das alles zu vergessen und von sich zu schieben.
Er saß in seinem Wohnzimmer und las oder hörte Musik, was selten genug vorkam. Es
war so friedlich und gemütlich, wie es in einem Zuhause ohne Frau nur sein konnte.
Und plötzlich kam dieser Gedanke über ihn. Wie vielen Menschen wurde in diesem Augenblick
gerade Gewalt angetan? Wie viele Frauen und Kinder wurden gerade gequält und missbraucht,
und er konnte sie nicht beschützen? Diese Erkenntnis fühlte sich an wie ein Eispickel
in seinem Kopf. Meist stand er dann auf und zog sich noch einmal an und drehte eine
Runde ums Haus, egal wie spät oder wie kalt es draußen war. Bewegung war dann das
Einzige, was ihm helfen konnte.
    Ein scharfes
Knattern holte ihn ins Jetzt zurück, Motorradfahrer brausten wieder einmal an ihnen
vorbei. Er sah kurz zu Leo hinüber. Der starrte den Motorrädern so sehnsüchtig nach,
dass Pestallozzi schon wieder über ihn grinsen musste. Der Bursche brachte ihn zum
Lachen und auf andere Gedanken. Sie waren wirklich ein gutes Gespann.
    Eine halbe
Stunde später sah Leo nicht sehnsüchtig, sondern beleidigt drein. Unwillig stapfte
er davon. Der Chef hatte ihm aufgetragen, bei der alten Luggauer vorbeizuschauen.
Probier, ob du nicht doch noch irgendetwas aus ihr herausbekommst, und vielleicht
ist ja auch ihre Nichte

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